Reiseimpressionen

Zug via H (Bruderbesuch): Kurzer, sehr schmerzhafter Sehnsuchtsschwerthieb, als ich an meine Kinder dachte. Schnell programmiert, nicht das schneidende Gefühl weiter aufkommen zu lassen, das mir bereits bekannt war (7 Wochen (!) von Kindern getrennt, zu dem Zeitpunkt 2 und 7 Jahre alt, aufgrund von Psycho-Klinik-Aufenthalt).

Bhf H: Bruder nahm mich in Empfang, kaufte sich ein Eis. Ich bildete mir ein, die Eisfrau hätte ihn freundlich mit Vornamen begrüßt. P.: “ Kann sein, aber ich kenn‘ sie nicht.“ Heiterkeit beiderseits.

City H: Überfordert bei Essenskauf in übervoller Galerie. Erstaunlich gelassen beim Verspeisen meiner scharfen Tofuspeise im schummrigen Asiaimbiss untertage. Blick auf „Schlemmer-Kate“ (sicherlich imposante Frau ;-)) und vorbeieilende Gestalten (u.a. ein Opa mit krummem Rücken, der mir sympathisch war). S-Bahn: „Zivi“ mit „Betreuungsperson“ im Rollstuhl, der aussah, wie Karlsson vom Dach (vielleicht fliegt er ja in unbeobachteten Momenten…). Ein anderer von vermuteter, geistiger Schlichtheit mit ernstem, jungenhaftem Blick, Rammstein-T-Shirt und tragbarem CD-Player. Too shy to rock the city!

Ps Wohnung: Mutet wie Wohnung in südlichen Gefilden an; offene Balkontür mit Blick auf andere, offene Innenhofbalkone, Stimmen hier und da („Robert, Mund auf! Mund auf, Robert! Robert! …“ Fisch? Hund? Kater? Kind?).

Am nächsten Morgen schickte mich der Duft beim Biobäcker proustmäßig (1) gedanklich nach Saas-Fee in die Schweiz, wo wir als Kinder mit Muttern mehrfach urlaubten und ich bis heute den Duft des warmen, frischgebackenen Nussbrotes innerlich bewahre. Nach Morgenkaffee und Blogpräsentation (Urteil vom Bruder wichtig! „Du bringst es auf den Punkt: Bist immer erschöpft und immer nackt!“ ;-) Heiterkeit beiderseits.) via HM zum Freundinnentreff. Landschaftlich wunderschöne Nahverkehrsstrecke, doch olfaktorisch (schüchternes Käsebrötchen neben mir, verklemmte Salami-Matschbanane gegenüber), akustisch (stetig klappernde Müllbehältermetalldeckel) und visuell (zuviel Mensch!) äußerst angestrengt, aber gehalten. Rückenschmerzen.


HM: Mit ältester Freundin (wir kennen uns seit der 1. Klasse!) Spaziergang an die Weser. Wunderschöner Blick nach rechts auf stillen, ruhigen Fluss, Blick nach links auf Kraftwerk in der Ferne, welches in meiner Vorstellung zu riesigen (Riesen-) Blumenvasen mutierte.


Rückzug auf’s Rad an Weser entlang in die Rattenfängerstadt. Aufatmen, allein mit mir bewegt in der Natur. Reizüberflutung again in da city. Welchen Auftrag haben all die Leute?! Mein Auftrag: Rückenpflaster besorgen.


Olfaktorische Überdosis: Gülle und Parfum.

Ms scheues, schönes Katzentier nimmt Reissaus vor Mercutiostimme.


Visuell: Frau mit Überbiss und Hundi im Zug von HM nach H./ Ältere, jugendhaft erscheinende Frau mit wunderschönem, klarem Gesicht, strahlendem Ausdruck. Dazu in auffälliger Diskrepanz: Falten über den schmalen Lippen, die dadurch aussehen wie zugenäht./ Mitreisende hinter mir schläft mit traurig-mattem Gesichtsausdruck. Auf ihrem rosafarbenen T-Shirt prangt die Aufschrift „happy“./ Akustisch: Als ich mich niederlasse, seuftze ich unvermittelt laut und vernehmlich. Peinlich! Aber Atmung und zur Ruhe kommen, ist alles! Ein… aus…ein… aus… War das Wochenende über innerlich zu sehr „auf Speed“- wahrscheinlich zuviel Tee und Kaffee und unbewusst angespannt, ob alter Muster.
Gesprächsfetzen: 2 Oberstufenschüler: A:“Müssen „Kabale und Liebe“ (2) gelesen haben.“ B: „Was?“ A: „Kabale und Liebe„. So’n Scheiß!“/ 2 junge Männer: A: „Ich fliege 9 Mona-, 9 Woch-, 9 Tage nach Malle:“ (Verbesserte sich selbst so schnell, dass er ’s vermutlich gar nicht merkte. Zeitunterschiede allerdings enorm! ;-))./ 2 Mitreisene: A (beiläufiger Tonfall): „Kommen gerade aus Namibia. Schön da.“


Ich las nie Adorno, gebe dies immer zu und zitiere dann an passender Stelle den einzigen, mir von ihm bekannten Ausspruch.

1: Marcel Proust "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit".
2: Schiller.