Reisen mit Hund und HSP

Moneglia, 13.7.18.

Nach der Reise (vgl. Mutprobe) ist wie vor der Reise – mit einigen Veränderungen, z.B. Entwicklungsschub bei J. (5 1/2 J.) durch Reiserei/ Fieberei, gesammelten Erkenntnissen meinerseits… – die Augenschatten, welche nach einer Woche unter der Sonne Italiens kurzzeitig verschwunden waren (mein freudig-verblüffter-erleichteter Ausruf eines Morgens vor dem Spiegel des Waschhauses: „Meine Schatten unter den Augen sind weg!!“ wurde von meiner Tochter bestätigt: „Ja, stimmt Mama!“) sind jedoch wieder da, ganz schön arg sogar…

Um all die guten und wichtigen Erfahrungen nicht zu vergessen, an denen ich gewachsen bin, folgt nun eine kleine Nachlese. Zunächst ein paar simple Tipps von Michael Martin, einem Reisefotografen/ Vortraghalter aus dem DB-Blatt (o.A.)  – sozusagen vom Allgemeinen zum Besonderen:

IM ALLGEMEINEN:

1. Planen Sie nichts. Der Zufall beschert die besten Erlebnisse. Seien Sie wie ein neugieriger Fotoreporter. Kamera ist Auge und Tagebuch.

2. Sie sind die Reise. Man kann alles anders fotografieren. Es gibt keine auserzählten Orte. Ihre Erfahrungen, ihre Pleiten und Pannen… Achten Sie darauf, sich hin und wieder abzusetzen, wenn sie (…) mit der Familie reisen. Nur so schaffen Sie eigene Erlebnisse.

3. Seien Sie wach. Schauen Sie in jeden Winkel, gehen Sie Umwege. Dass auf einer Reise nichts passiert, das kann nicht sein. Dafür ist die Welt viel zu spannend. Gute Geschichten wollen gefunden werden. Seien Sie also neugierig.

4. Früh aufstehen.

5. Keine Social Media.

(…)“

Zur Verdichtung wird geraten. Genau das ist meine Absicht – im Kleinen wie im Großen, für diesen Artikel, für den/das Blog, für’s Leben. Leichter gesagt als getan…

IM BESONDEREN:

Unsere Reise war lange ersehnt – vor 6 Jahren waren wir zum letzten Mal weit weg, auf Gomera, meinem Sehnsuchtsort. Danach war im letzten Jahr 1 Woche im Zelt auf Schiermonnikoog der erste richtige Urlaub außerhalb von Familienkreisen. Seit meinem Klinikaufenthalt sehnte ich mich nach Gomera, nur war ich erstens lange nicht stabil genug und zweitens können wir uns eine solche Reise gar nicht mehr leisten. Die Hoffnung auf Besserung meiner Befindlichkeit in fernen, sonnigen Gefilden blieb und so entschieden wir uns, mit Verständnis und einem finanziellen Oma-Obolus für die Italienreise. Die Zugreise buchten wir früh genug, um bemerkenswert günstige Fahrkarten zu ergattern. Der Zeltplatz ward agriturismo-mäßig ausgewiesen und mit Bedacht gewählt. Große Zweifel, ob ich all dem gewachsen sei, blieben bis zum Tag der Abfahrt. Ab diesem Zeitpunkt programmierte ich mich, „ja nichts zu vermasseln“ und mich in Dankbarkeit übend, überhaupt eine solche Reise unternehmen zu können. Mit dem ersten, rucksackbeschwertem Schritt zum Bus ließ ich mich ein auf die „challenge“. Dass „alles eine Prüfung“ ist, und es gilt, diese zu meistern, sollte sich während der Reise mehrfach bewahrheiten.

Statt Tagebuch o.ä. zu schreiben und mich so aufgrund meines perfektionistischen, ja nichts zu vergessenden Anspruches nicht zu überfordern, schrieb ich Sinneseindrücke und Gedankenfragmente auf: Was ich höre, was ich sehe, was ich rieche, was ich denke. 

Wurde ich mir an einem fernen Ort mit anderer Sprache, anderen Geräuschen, anderen Gerüchen mehr meiner selbst bewusst? Zumindest entdeckte ich die Langsamkeit: „Tranquillo, tranquillo!“ Erlebte in einer filmgleichen, zeitlupenhaften Szene im italienischen Örtchen DEN AUGENBLICK. Erfuhr mehrfach und manchmal schmerzhaft meine Andersertigkeit (15.7. weinend zu T.: „Please, change me!“ T.: „No, i won’t!“; 16.7. Mädchen aus Berlin zu K.: „Die anderen Kinder sagen, deine Mutter hat geweint.“ K.: „Nein, hat sie nicht.“), mein Nicht-geeignet-sein-für-das-„Normale“. Entdeckte immer wieder und manchmal mehrfach täglich meine Grenzen und wie es sie zu wahren galt.

Es war heilsam, immer draußen zu sein! Heilsam zu erkennen, dass ich Herausforderungen aufgrund meiner Hochsensibilität immer wieder gemeistert habe! Heilsam für mich und meine Kinder zu erleben, dass ich in Ausnahmesituationen löwinnengleich handeln konnte! Heilsam zu erfahren, dass die Welt noch nicht gänzlich von Terror und Zerstörung befallen ist (auch wenn der Plastikkonsum in Italien erschreckend ist; die langanhaltende Dürre – auch vor allem im Norden – beängstigend war…)! Heilsam (wirklich) zu erfassen, dass Freud und Leid im Leben so nah beieinander liegen und damit einen Umgang zu finden!

Nach einer schlaflosen Nacht mit Überforderungstraum (18.7.) erinnerte ich mich an ein Zitat des Dalai Lama, das ich einen Monat zuvor noch im Skillstraining vorgelesen hatte:

Denke jeden Morgen nach dem Aufwachen: Heute habe ich das Glück, das ich aufgewacht bin. Ich lebe. Mein Leben ist kostbar. Ich werde es nicht vergeuden. Ich werde meine ganze Energie darauf verwenden, um mich weiter zu entwickeln, mein Herz für andere zu öffnen…, um freundliche Gedanken gegenüber anderen zu hegen und nicht wütend zu werden oder schlecht über andere zu denken, um andere (Anm. meinerseits: und mich selbst!) so gut wie möglich zu unterstützen.

P.S. J., 5 1/2, am Abend des 2.8., ganz im dalailamaschen Sinne: „Danke, lieber Tag!“

Danke Reise!

P.S. Diesen Artikel schrieb ich - zeitgleich mit drei anderen (!) - über mehrere Etappen (13.8., 28.8., 30.8., 4.9., 11.9.) und bringe ihn nun endlich zum Abschluss, obwohl einiges ungeschrieben blieb, obwohl einiges in meiner Einstellung dem Heilbringenden einer Reise gegenüber sich im Laufe des alltäglichen Lebens gewandelt hat und ich des Reisens nun erstmal müd bin. Zu risikoreich scheint's mir, was die äußeren Bedingungen für hochsensible, manchmal schwermütige Gemüter angeht. "Gibt es Campingplätze für Hochsensible?", fragte ich mich mehrfach. Ach herrje, da will und kann ich auch nicht hin und sein... Was soll's! Glück gehabt, schön war's, wer weiß, was kommen mag...