„Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht“

 

Zum Titel: Kapitel aus Musils "Mann ohne Eigenschaften", HH 2016, S.9. (endlich lesen! Großartiger Beginn!).

Zu den Fotos: Crumbkarte wiedergefunden und zur Erheiterung auf abgedeckten Kartons mit Zetteleien u.ä. drapiert. Zwar hatte ich die Kraft besessen, mich dem seit Jahren Angehäuftem zu stellen und alle Kartons hervorzuholen, doch der Anblick der geballten Ladung tat was? Ja, genau, überforderte mich, was sonst?! Also: Tipp von Schutzi-J. umsetzen und immer brav einem nach dem anderen abarbeiten. Tue gerade so, als müsse ich meinen eigenen Nachlass verwalten, haha. Ist in gewisser Weise auch wahr, denn alles Angehäufte stammt aus Mercutios Zeiten. Stimmt Schutzi-Js Aussage, "Irgendwas steht immer an!", so ist diese eigentlich nicht belastend, hat es doch mit der "Jetzt-Zeit" zu tun und nicht mit dem Abarbeiten alter Muster u.ä.

Aus dem Wochenende in HH (16. – 18.2.) und dem Vortrag über „Erschöpfung und HS“ vom 25.2., bei dem mich allein die Vorstellung hinzugehen erschöpfte (absurd lustig!), ist für mich bemerkenswerter Weise viel hervorgegangen (s. Aufzählung):

Ich beginne, mein SoSein mehr und mehr zu akzeptieren und zu erkennen, was ich mir zumuten kann und was nicht.

Beginne, mich ohne Mercutio wirklich kennenzulernen.

Höre auf zu hadern, zu zweifeln (versuche es zumindest!) (1).

Erkenntnis 1: Erschöpfung und Verzagung kommen und gehen (vgl. „Gefühle kommen und gehen!“, 11.6.18 u.a.). Beides vergeht schneller als zuvor. Ich bin in der Lage,  „mich heraus zu arbeiten“.

Erkenntnis 2: Ich arbeite! Im Rahmen meiner Möglichkeiten. Ein Kurs wie gestern – 1 1/2 Std., 13 Schülerinnen (Alter ca. 16 J., aus den unterschiedlichsten Nationen kommend) erschöpft mich sehr! Ich wollte ihn am Morgen absagen, hatte Halsschmerzen, musste mich um’s Kind kümmern, das mit Übelkeit gebeutelt über’m Klo hing. T. blieb bei J., ich absolvierte wacker den Kurs. Er verlief sehr gut, kostete mich aber unverhältnismäßig viel Kraft. Zu Hause musste ich mich zurückziehen, weinte, war sehr verzagt. „Kann ich nur in meiner kleinen Blase bleiben?“, fragte ich mich. Ich tu’s nicht und das ist wohl auch gut so, leiste ich mit meinen Kursen doch wertvolle Arbeit für einzelne (junge) Menschen.

Meine Freundin J. bestärkte mich in HH sehr, dass auch mein Schreiben sehr wohl Arbeit wär. Ich sei ja tätig, auch ohne sichtbaren Lohn. Ebenso das Mutter- und Hausfrauensein ist’s, wie JEDER wohl bekannt! Im Skillstraining und in Gesprächen mit Schutzi-J. lernte ich, dass das Leben mit einer psychischen Erkrankung (und mit HS!) tagtäglich und immer Arbeit ist und vom Erschöpfungsgrad einem 8-Stunden-Arbeitstag (oder mehr) gleichkommt.

Erkenntnis 3: Ich nehme in Kauf, „aus dem Rahmen zu fallen“. In HH ward diese Annahme für mich schmerzlich erfahren. Ich schaffte nicht mehr innerhalb einer Gruppe durchzuhalten, sondern erkannte während der Geburtstagsfeier unserer Freundin N.: „Ich kann nicht mehr!“, wurde von J. in den Garten begleitet, durfte mich danach, liebevoll bedacht, allein in ein ruhiges Zimmer zurückziehen. Obwohl mir seit Mercutios Ableben das Auffallen meiner Person ein Graus ist, konnte ich zu meinem Rückzugsbedürfnis stehen (es blieb mir aufgrund starker Kopfschmerzschübe auch nichts anderes übrig).

Erkenntnis 4: Meine Schreckhaftigkeit ist immens und wird mir immer im Vergleich mit meiner Umwelt vor Augen geführt. Sie lässt mich mir selbst gegenüber wie eine „Schwerbehinderte“ (vgl. erster Blogeintrag, 15.8.16, und auch 19.1.17) und die fremden, unbewegten Menschen um mich herum manchmal wie Zombies wirken (so mehrmals in HH erlebt – z.B. laute, plötzliche Geräusche am Bhf -/ im Wartezimmer eines Arztes – ein kleiner Junge spielte seelenruhig mit Holztieren, die auf einem Holztisch wiederholt umfielen; ich schreckte jedesmal so stark zusammen, dass die Mutter ihren Sohn ermahnte, nicht „so wild“ zu spielen; ich winkte ab, dass es nicht am Kind, sondern an mir läge; fühlte mich furchtbar -/ sogar während des Vortrags über HS zuckte nur ich zwischen zig anderen HSPs (!) zusammen, als in einer hinteren Ecke des Raumes versehentlich etwas umfiel). Innerhalb meiner Familie (T., K., J.) bin ich sowieso der Freak (;-)!) und sie lieben mich trotzdem ;-)! Ich sollte öfter über meine „Wunderlichkeit“ lachen, so der liebevoll gemeinte Tipp meiner Mutter.

Erkenntnis 5: Einiges ist „neu“ (dem Skillstraining sei Dank, wie gesagt…) bzw. bin ich in der Lage, alte Muster zu durchbrechen! Dies kostet Kraft und bedarf Disziplin und einen starken Willen, ist es doch leichter, kurzfristigen Impulsen nachzugeben, in vertraute Muster zu fallen.

Intuitiv handle ich bei hoher Anspannung (meist!) richtig, in dem ich als erstes aus der Situation rausgehe, dann auf meinen Körper einen positiven(!), starken Reiz wirken lasse (Bsp. eiskaltes Wasser über die Handgelenke laufen lassen, Workoutübung „Heißer Stuhl“, bei nachlassender Anspannung Atemübungen, in der Reflektionsphase mache ich mir (manchmal) bewusst, wie mein Körperempfinden in der überstandenen Situation war, welche Gefühle und Gedanken ich in dem Moment hatte (Bewusstseindreieck: Körper (= Wächter!)/ Gefühle/ Gedanken).

Zweimal hatte ich nach HH Ritzfantasien und war kurz davor, sie umzusetzen, dem Impuls nachzugeben. Es bedurfte Disziplin und einen starken Willen (s.o.), es nicht zu tun! Dafür rammte ich die Nagelschere in ein Holzregal. Ein anderes Mal zerriss ich Zeitungen (und musste sie so glücklicherweise nicht mehr lesen!). Ein Zustand, den ich morgens aufgrund eines enorm hohen Stresspegels hatte (ich zitterte stark, als ich J. die Zähne putzen wollte, es zuckte unter meinem Auge, meine Beine waren wie aus Gummi, das Sprechen viel mir schwer), hielt glücklicherweise nicht den ganzen Tag an.

In HH und danach (und bereits ab und an zuvor) praktizierte ich mehrfach und intuitiv in alltäglichen Situationen das bewusste Atmen. Sehr gut!

Erkenntnisse 6-8 (aus meinen Aufzeichnungen zum Vortrag vom 25.2.): Ich habe also den Mut, mich dem eigenen Rhythmus anzuvertrauen!

Ich habe Mut für einen „außergewöhnlichen“ Lebensentwurf und die Akzeptanz desselben!

Ich habe Mut, mich dem Außen zu zeigen!

So kann sich mein autonomes Nervensystem beruhigen, wunderbar!

1: vgl. "STOP IT!!!",11.9.18.