Ich und Corona

Foto vom 23.3.20. Die Knospe eines Kastenanienstraußes, gerettet vor dem Grünabfall. Der Strauß durchlebte bereits mehrere Metarmorphosen, von geschlossenen Knospen, die sich an langen, sich windenden Ästen aus der Vase scheinbar ins Zimmer schlängelten und in meiner und Ts Vorstellung bizarre Formen annahmen bis hin zu sich öffnenden Blüten.

Ich und Corona. Corona und ich. Oder auch: Das C. und W.W. Ausformuliert: Das Corona-Virus und Willi Wiberg (1).

Am Samstagabend (21.3.) las ich auf Wunsch Js eine Geschichte von Willi Wiberg vor: „Willi Wiberg und das Ungeheuer “ von Gunilla Bergström. Als Willi einem kleineren Jungen auf die Nase haut, kann er nachts nicht mehr gut schlafen, weil er sich so schlecht fühlt und sich sorgt. Ihm ist, als lauere unter seinem Bett ein Ungeheuer, das ihn bewacht. Er kann an nichts anderes mehr denken als an den kleinen Jungen…

Aus einem Gespräch mit T. am 22.3.: Ich: „Ich wünschte, dieser Ausnahmezustand, dieser Stillstand wäre zum Schutz des Klimas ausgerufen worden.“ T.: „Oder zum seelischen Wohl der Menschen (o.s.ä.)“. Ich: „Ja, dann könnte ich leichtfüßig umherspringen… Entschleunigung für`n A…! Für mich schwelt unter allem die ständige Bedrohung.“
In der ersten Woche der akuten Corona-Krise und den damit verbundenen Maßnahmen hier (Schulschließung seit 16.3.) verspürte ich einen regelrechten Widerwillen, einen Artikel über mein Befinden zu  schreiben. Erstens kam es mir unpassend vor, zweitens war ich auch gar nicht in der Lage dazu. Mein System stand unter Dauerstress.
Außerdem hatte ich mit meinem letzten Artikel (6.3.), in dem ich Sarah Kirsch zitiere, sowieso alles gesagt (2).

Im Artikel davor (4.3.) appellierte ich an die Dankbarkeit, nachdem ich am Morgen arg befallen (gelähmt, Ritzgedanken seit ewigen Zeiten), mittags kurz befreit und anschließend erneut befallen war, bis ein realer schwarzer Hund den  unsichtbaren Schwarzen Hund vertrieb (3). Nun verfolgte mich ein anderer. Groß wurde er am Freitagabend (20.3.) und blieb bis Montag (23.3.) immer kleiner werdend, sich ab und zu verkriechend. Still weinend ging ich zu Bett, still weinend stand ich auf, lief eine halbe Stunde in der Morgensonne, weinte unter der Dusche, unterdrückte die Tränen in Gesprächen, riss mich zusammen, nahm Kontakt auf, arbeitete draußen, zog mich zurück und weinte, ging früh zu Bett. Sonntag (22.3.) schwirrte der Kopf, sobald ich zuviel sprach. Schlief um zwanzig vor acht.
Sorg(t)e mich um mein altes Mütterlein, das wir nicht besuchen dürfen, sorg(t)e mich um meine Kinder, deren gemeinsames Draußenspiel nun nicht mehr unbeschwert sein kann…

Doch was meinte Motje, die ostfriesische Oma mit dem schönen Namen (4): „Trübsal blasen nützt nix!“
Und was meint das Märchen Die kluge Else: Sich finstere Szenarien auszumalen nützt auch nix!

„In solchen Zeiten spürt man die Nähe derer, die man liebt…“, schrieb meine Freundin D. per SMS am 21.3. „Das ist so wahr!“, schrieb ich zurück.

1: Aus einer Geschichte von Willi Wiberg zitiert auch T. in seiner ersten Podcastfolge: https://tilmankoeneke.de/keep-calm-and-_fill-the-blank_/

2: vgl. Artikel zuvor Kirschs Schwarze Bohnen. Anm.: Ich vergaß peinlicherweise eine Zeile des Gedichts, die ich dank meines aufmerksamen Bruders nun hinzufügte.

3: Aus meinen Notizen vom 4.3.: "Raffe mich erst spät auf rauszugehen. Habe keine Kraft, jemandem zu begegnen. A. (der schwarze Nachbarshund) kommt mit V. (dem Herrchen) den Weg entlang. Sieht mich, wie ich mit dem Rücken zu ihm, im langen, dunklen Mantel an unserer Terrassentür stehe. Knurrt. Verharrt und starrt mit erhobener Pfote in "Hab-acht-Stellung". Kann ein schwarzer Hund den Schwarzen Hund spüren? (s.o.)

4: vgl. Herzensverbindung, 16.11.16.