Einen an der Marmel haben

Zum Foto: Schwarzer Panther, geschenkt zu meinem 47ten von meiner Freundin A. Er ist mein Krafttier (ertanzt beim Souldance mit Schutzi-J.) und ich hatte es vergessen.

… nicht ganz bei Verstand sein. Eigentlich schön.

24.5., Rückkehr von AUR. Ich bin sehr erschöpft von der Autofahrt. Es klingelt am Abend an der Tür. Fünf liebe Menschen aus der Nähe (kleine und große) und eine Gitarre wollen mir nachträglich ein Geburtstagsstänchen bringen, heben an „Viel Glück und viel…“, brechen ab, weil ich sage: „Ich mag das nicht!“ Und noch einmal „Ich mag das wirklich nicht!“ Ungläubige Gesichter, so weit ich dies erkennen kann, denn ich habe weder Kontaktlinsen drin, noch meine Brille auf. Mit belegter Stimme und noch Nudelresten vom Abendessen zwischen den Zähnen versuche ich mich zu erklären. Ich zittere. „Es tut mir wirklich leid, aber ich mag nicht, wenn für mich gesungen wird. Zum Glück kann ich eure Gesichter nicht richtig erkennen, das ist gut, dann bin ich mehr bei mir! Mein Geburtstag vor der Klinikzeit (1) war ein Wendepunkt und ich mag es absolut nicht mehr, im Mittelpunkt zu stehen. Ich freue mich sehr, wenn an mich gedacht wird – z.B. per Sms und Post, aber dieser direkte Kontakt überfordert mich. Ich musste auch an meinem Geburtstag mit meiner Familie bei meinem alten Mütterlein die Geschenke in Etappen auspacken -, obwohl es gar nicht so viele waren, haha-, weil ich sonst überfordert gewesen wäre.“ Zu den Kindern: „Ihr denkt jetzt sicher, die hat ja voll einen an der Marmel, haha!“ (2). Der Blumenstrauß, von einem der Kinder zuvor übergeben, zittert stark. Alle sind sehr lieb und verständnisvoll und ziehen unverrichteter Dinge von dannen. „Danke für deine Ehrlichkeit, liebe Frauke! Fühl dich von Herzen umarmt!“, schreibt S. per SMS später.

26.5.: K.: „Jetzt weiß ich genau, wie du dich fühlst, wenn du überfordert bist, Mama. Wenn du sagst, dass Du gestresst bist. Ich habe es vorher eigentlich auch schon gewusst, aber jetzt habe ich es auch selbst so gefühlt.“

27.5.: Aus Liebe zu meinem Kind überwinde ich mich, um mit ihr Klamotten kaufen zu gehen (zusammen tun wir dies gefühlt 1 x im Jahr). Ich habe mich programmiert und überstehe es. Die Erschöpfung kommt später und bleibt länger.

28.5.: Meine Nachbarin mäht mir zuliebe ein Rasenstück vor Ks Fenster für mich mit. Ich bin erschüttert, war ich doch in diesem Jahr besonders berührt von all den zarten Pflänzchen, die sich dort zwischen Farn ausgesät hatten. Erst gestern, zwei Wochen später, konnte ich das Gras abharken.

30.5.: Auf meiner morgendlichen Radfahrt komme ich an einem Schwanennest vorbei, das ich zuvor verlassen glaubte. In der autofreien Coronaphase hatte ich täglich einen Schwan auf dem Nest brüten sehen. Als der Verkehr wieder zunahm, war es eines morgens verlassen und sechs Eier lagen schutzlos dort. Ich schimpfte auf die Wiederaufnahme des Verkehrs. So war der Schwan sozusagen auch Corona zum Opfer gefallen, dachte ich. Doch was sah ich an diesem Morgen? Schwanenmutter nebst sechs Schwanenküken friedlich vereint im Nest. Ich halte an. Sammle mich, fahre weiter. Muss kurze Zeit später wieder anhalten und weine. Mattigkeit lässt sich nicht fort fahren. Als ich den Kindern später davon berichte, sagt K. weise: „Das musst du als Symbol sehen, Mama!“

Ausflug am heißen Nachmittag mit J. Und K. nach Pottloch, Ostsee, um den Hund (3) zu vertreiben. Wir gehen soweit wie möglich am Strand entlang, um der Menge zu entgehen. Als die Kinder ein Eis holen, weine ich still in unserer Strandmuschel und halte mir die Ohren zu, weil ich die Gespräche der Familie in unserer Nähe nicht ertrage.

Pfingstwochenende: Entladung nach vorherigem Befall am Ostseestrand. Ich kann nicht mehr Frisbee spielen und kugele mich ob meiner ungelenken Versuche vor Lachen im Sand. Eine Familie in der Ferne schaut irritiert zu mir herüber. Ich schaue zurück, mache die typische Handwischbewegung vor meinem Gesicht für „nicht ganz dicht“. Die Familie schaut betreten weg.

Vorgestern: „Dieses Besteck mag ich am Abend nicht.“ „Du bist echt autistisch, Mama. Das ist ganz schön anstrengend!“ Wem sagt sie das…

1: Es war der 41te Geburtstag (2014).

2: Gedächtnisprotokoll.

3: Es ist schwer zu erklären, warum der Hund in Abständen immer wieder Besitz von mir ergreift, warum Verzagung und Mattigkeit sich trotz Liebe, trotz Sonnenschein immer wieder einstellt, warum es nicht aufhört. Ich will dem nicht ausgeliefert bleiben und tue tapfer viel dagegen.

Vgl. auch Artikel vom 10.6. und 2.6.