„Bilder hecken Bilder in mir.“

Zum Foto: Francis Bacon, unterwegs auf Primrose Hill, dem Hügel nördlich von Regent's Park in London, 1963 (in der Nähe lebte u.a. Der Dichter W.B.Yeats, den Bacon sehr bewundert hat); Fotografie Bill Brandt. In: Michael Peppiatt, Gespräche in der Nacht. Francis Bacon über seine Arbeit, Bern 2011, S. 103. Vgl. auch Artikel vom 10.5.

Ich liebe dieses Portrait von Bacon. Es mutet wie eine Kohlezeichnung an. Aufgenommen nördlich vom Regent's Park in London: da war ich auch Anfang der 90er, abgefahren.

Zum Titel: Bacon in: Peppiatt, a.a.O., S. 34. Bacon heckt Bilder aus, das tut er.

Bacon: „Ich habe keine Ahnung, was meine Bilder bedeuten.“ (…)
„Ihr Sinn sei es, keinen Sinn zu haben. Denn sobald ein Bild auf etwas festgelegt werde, davon war Bacon mit geradezu abergläubischer Intensität überzeugt, würde seine Kraft ausbluten.“ (1)

B: In einem Gemälde, das es wert ist, betrachtet zu werden, muss der bildliche Ausdruck verzerrt sein, wenn es darum geht, einen neuen Angriff auf das Nervensystem zu unternehmen. Und das ist die besondere Schwierigkeit der Malerei heute. Ich will eine spezifische Erfahrung mit einer anderen Intensität neu durchleben und sie mit größerer Treffsicherheit darstellen… Abstrakte Kunst ist freie Phantasie über nichts. Von nichts kommt nichts. Man braucht das spezifische Bild, um die tieferen Gefühle freizusetzen, und das Mysterium des Zufalls und der Intuition, um das Besondere zu erschaffen… Es ist ein Wettspiel aus Glück, Intuition und Ordnung. Wirkliche Kunst ist immer geordnet, gleich wie hoch der Anteil des Zufälligen auch sein mag. (2)

B: „Die interessantesten Maler sind doch immer figurativ geblieben.“ (Anm.: erwähnt zuvor u.a. Balthus; 3)

Peppiatt: „Sie sind aber doch vor allem ein visueller Mensch. Es gibt doch bestimmt Bilder, die für Sie wichtig waren – die Sie verfolgt haben, nicht wahr?

B.: Ja, das sind eben die Sachen, mit denen ich nichts anfangen konnte. Sehen Sie, in meinem Fall passieren die besten Bilder einfach.“ (4)

Was ich wirklich glaube ist, dass Zufall und Überraschungen die fruchtbarsten Dinge sind, die jedem Künstler in unserer Zeit zur Verfügung stehen. Ich versuche gerade, einige Porträts zu malen und ich hoffe einfach darauf, dass sie zufällig gelingen werden. Ich will einfach eine Erscheinung einfangen, ohne dass sie zu einer abgebildeten Erscheinung wird.

P: Es ist also etwas, das Sie nicht bewusst planen können?

B: Nein. Ich wüsste nicht, ob es das wäre, was ich gewollt habe, es ist etwas, was für mich in dem Moment eine Realität ausmacht. Eine Realität, die sich durch den tatsächlichen Farbauftrag ergibt, was schon eine Realität ist. Ich versuche aber auch, diese Realität in die Erscheinung der Person zu verwandeln, die ich male… Es ist eine Verknüpfung vieler Dinge, und das ergibt sich nur durch Zufall. Ein provozierter Zufall, weil man in seinem Hinterkopf ein Bild jener Person hat, deren Bild man zu malen versucht… Genau an diesem Punkt kann man absolut nicht über die Malerei sprechen. Es liegt im Tun… Ich finde, über Malerei zu sprechen, ist immer oberflächlich… Wir reden heute auf eine so kümmerliche, bürgerliche Art. Nie wird etwas direkt gesagt… Fast alles in der „Orestie“ (5) ist interessanter. Und wenn Kassandra sagt: „Der Geruch menschlichen Blutes lächelt mich an“, wie wollen Sie das in Malerei übersetzen? Ich weiß nicht, wie man dieses außerordentliche Sprachbild nennt. (6)

B: Es (Anm.: z.B. das Gedicht, das Gemälde) muss eine (einprägsame) Form annehmen… Es muss viel weiter reichende Implikationen haben. Es ist etwas, was in Ihrer Psyche widerhallt,… Schließlich gleiten die Augen doch beim meisten, was man Kunst nennt, einfach darüber hinweg. Es mag charmant oder nett sein, aber es verändert (erschüttert) Sie nicht. (7)

B: Ich versuche das Bild der Realität noch einmal zu schaffen, das in meinem Kopf ist… Maler versuchen von Generation zu Generation Wege zu finden, ein Bild dem Nervensystem zurückzugeben… Also musst du eine Technik neu erfinden, um einen neuen Weg zu entwickeln, etwas, wie einen Stuhl vielleicht, dem Nervensystem zu vermitteln… Alle Maler, die mich interessieren, haben das geschafft, insbesondere Van Gogh, dem das auf außerordentliche Weise gelang – auf eine ganz einfache und zugleich sehr rätselhafte Weise gelang. (8)

B: Ich frage mich oft, wie viele Menschen überhaupt ein Auge für die Malerei haben. Sie kaufen, wenn der Künstler berümt ist – und wahrscheinlich gar nicht mehr seine besten Arbeiten macht. Wenn es aber etwas Wundervolles und Neues gibt, sehen sie es nicht. (9)

B: Alles, was entsteht, kommt zufällig bei der tatsächlichen Arbeit am Gemälde ins Bild. Plötzlich erscheint etwas, das ich erfassen kann…, ich fange nicht blind an. Ich habe eine Vorstellung, von dem, was ich tun möchte; wenn ich aber anfange, löst sich das völlig auf. Wenn es gut geht, kristallisiert sich etwas heraus.

P: Machen Sie eine Art Skizze auf der Leinwand, eine Grundstruktur?

B: Manchmal ein wenig. Es bleibt aber niemals so, wirklich niemals. Das hilft mir nur dabei, zum Handeln zu kommen. Häufig bringt man einfach nur Farbe auf, fast ohne zu wissen, was man da eigentlich tut. Man muss etwas Materie auf die Leinwand bringen, um anfangen zu können. Dann kann es funktionieren, oder auch nicht… Ich trage einfach weiter Farbe auf oder wische sie weg. Und manchmal führen die Schatten der Markierungen, die davon zurückbleiben, zu einem anderen Bild oder der Möglichkeit, dass etwas anderes auftauchen könnte… Aber sehen Sie, das ist ein Problem. Auch wenn ich sie ziemlich mag, glaube ich nicht, dass diese freien Markierungen… wirklich funktionieren…, sie sind zu beliebig.
(…)

P: Sie müssen die Rückwirkung der Farbe spüren. In einem merkwürdigen Sinn ist das ein Dialog.

B: Ja, das ist ein Dialog.

P: Die Farbe macht soviel wie Sie. Sie deutet Dinge an. Es ist ein ständiger Austausch.

B: So ist es. Und man hofft immer, dass die Farbe mehr für einen tut… Übung hilft nicht wirklich. Sie sollte einen etwas schlauer machen, bei der Erkenntnis, dass etwas aus dem entstehen könnte, was man gemalt hat… , man ist immer ein Handwerker…
(…)
Ich glaube, das Alter macht einen auf merkwürdige Weise wacher. Warum sollte es das auch nicht? Es ist eben einafch so. Das Leben ist absolut nichts außer dem, was man daraus macht – es ist, was man getan hat und wie man an sich selbst gearbeitet hat. (10)

1: In: Michael Peppiatt, a.a.O., S.33.

2: ebd. S.61.

3: S.70.

4: S.76.

5: Griechische Tragödie von Aischylos.

6: Bacon in M.P., a.a.O., S.76/78.

7: ebd. S.80.

8: S.97 (Bacon von Peppiatt zitiert aus einem anderen Interview).

9: S.70/71.

10 S.82-84.