Acht geben

Foto vom 20.2.24

Vor 2 Wochen starb C. an Krebs.
Er wohnte in unserem Wohnprojekt direkt gegenüber von uns.
Er war so alt wie T.
G. und er waren seit ihrem 16ten Lebensjahr ein Paar.
Sie haben zwei erwachsene Kinder, R. und M.

Ausschnitte von Mails an G.:

21.1.
Du wirst wahrscheinlich gerade keine Mails lesen, aber ich muss Dir auf diesem Weg einfach mitteilen, wie sehr ich in Gedanken bei Euch bin. 
(…) und musste so weinen, wollte zu Euch rennen und Euch in den Arm nehmen und konnte es nicht…

23.2.
Schicke Euch mein Mitgefühl und muss immer daran arbeiten, nicht mitzuleiden. Denn das hilft Euch nicht.

1.2.
…, gestern morgen habe ich schon begonnen, Dir eine Mail zu schreiben und bin an der Vollendung gescheitert. War und bin „durch den Wind“. Eure Situation, wie es um C. steht, wie ihr damit umgeht und lebt, nimmt mich sehr (!) mit.
(…)
Das hat mich schwer erschüttert! Ich habe so geweint! Obwohl ich dachte, meine Beine könnten mich nicht tragen, bin ich wie in Trance durch den Wald gelaufen.

Gestern nach meinem Kunstkurs war ich extrem erschöpft, wollte eigentlich zu Euch und Dich in den Arm nehmen, war aber dazu nicht in der Lage… Ich bin so sehr bei Euch und kann es nicht direkt sein…

Ausschnitte aus Gesprächen zwischen T. und mir:

2.2.
F.: Ich muss einen Umgang damit finden. Es nimmt mich zu sehr mit. Habe die ganze Zeit das Gefühl, einen Holzbalken mit Ketten auf den Schultern zu tragen, wie die Gefangenen bei „Shogun“.

T.: Du brauchst einen Neoprenanzug, an dem alles abperlt.

3.2.
F.: Ich weiß, was ich jetzt tue: Schuften gegen Lähmung!

 

Ich begegne G. zum ersten Mal direkt. Wir halten uns lange im Arm. J. und H. kommen hinzu. So stehen wir vier Frauen lange in inniger Verbundenheit. Viel, aber kostbar.

In der Nacht vom 6. auf den 7.  fühle ich mich krank. Sage meinen Kurs am nächsten Morgen ab. Als ich mich wieder hinlegen will, kommt T. zu mir: Du hast deine Mails noch nicht gelesen, oder?
C. ist gestern am frühen Abend gestorben.

Abschied von C. Im Haus, ich traue mich. Im Dorf, ich halte mich.

Am nächsten Tag bin ich für 1 Woche krank, fühle mich elend wie lange nicht. Träume von meiner alten Mutter, die nur in Hemd und Höschen bekleidet, übermütig in ihr Bett springt, das in einem komplett um- und zugebauten Zimmer steht. „Woher kommen all die Kommoden? Was willst du denn damit?“ „Das weiß ich auch nicht, was das soll.“ Die Fenster zur Terrasse sind Glastüren, die unten zerbrochen sind und ich denke: „Wer soll das reparieren?“ In einem anderen Bett liegt meine Mutter plötzlich noch einmal, alt und stumm, nicht tot, aber doppelt. Ich schreie.
Am nächsten Morgen erwache ich mit einer großen Blutblase an der Lippe.
Andere Träume spiegeln meine Überforderung und Erschöpfung.
Erst heute scheine ich wieder bei Kräften. Nun heißt es „Acht geben!“