Ein Fall von Irrsinn

Nach dem Abendessen: Ich habe mich unbemerkt nach oben zurückgezogen. Gespräch zwischen Vater T. und Sohn J. im Bad. J. fragt T.: „Weißt du, wo Frauke ist?“ T.: „Nein, ich weiß nicht, wo sie ist.“ J. rufend: „Frauke, weißt du, wo du bist?

Mittags: Ich bereite das Essen zu. J. hantiert mit meinem Handy und schafft es, das nichts mehr funktioniert, totaler Absturz. Selbst T. ist ratlos. Ich funktioniere auch nicht mehr, raste komplett aus. J. brüllt, ich brülle zurück. Fordere J. auf, die Küche zu verlassen, er weigert sich, auch auf Ts Rat hin. Ratloser Rückzug Ts. Ich bin in der Folge wie von Sinnen, bitte J. inständig, mich alleine zu lassen, doch er scheint von meinem absurden Theater wie gebannt. Ich brülle herum, verbrüh‘ mir die Finger am heißen Löffel im Topf, in dem das Essen anbrennt, schleudere den Topf ins Waschbecken, hacke mit einem Messer auf das angesetzte Essen ein. Folge: Einhacklöcher im Topfboden, Messerspitze krumm. Entsetzlich, dass J. dem Anfall beiwohnte. Hoffentlich hat mich durch’s Fenster keiner gesehen.

Der Irrsinn sitzt mir im Nacken. Ich will in einer Ecke des Essraumes mein Handy aufladen, nehme stattdessen das Ladekabel und ratzratzratz mit dem Metallstecker rasend am Unterarm hin-und-her-geschabt. J. sitzt neben dem Herd und sieht mich nicht, heult. Erhört nicht mein Flehen, zu gehen. Ich gehe – ins Bad, schließe die Tür ab und ramme mir eine Pinzette in den Unterarm. Druck. Schmerz. Kontrolliere den Irrsinn, greife zum „Notfalltäschchen“, noch 3 getrocknete Chilischoten. Gut kauen. Scharf. Noch mehr hätten’s auch getan. Komme langsam zu mir. Gehe in die Küche, koche weiter, J. verlässt den Raum.

"Nachwehen": Tagsüber ab und an stechender Kopfschmerz. Nachmittags erstaunlich gelassen, trotz Kinderbesuchs. Während des Abendbrots beschließe ich, auf keine Ansprache zu reagieren. Statt "bei mir zu sein", bin ich jedoch apathisch. Auch keine Lösung. Rückzug. Gedanken: "Ich bin nie sicher... Hätte während des "Irrsinnbefalls" Schutz gebraucht, J. auch - nicht, weil sich der Irrsinn gegen ihn gerichtet hätte, sondern weil er ihn z.T. mit ansah... Findet man/frau nur Schutz in sich selbst?... Nützt einem auch nix, denke ich an das Attentat von Rouen: Priester sicher im Glauben, nützte ihm auch nichts, als ihm die Kehle durchgeschnitten wurde (vgl. Artikel vom 26.09.16). K. reißt mich aus den dunklen Gedanken. Es geht ihr nicht gut. Ich tröste sie und vertreibe ihre Verzagung, "bin bei ihr und bei mir".
J. schreit im Traum: "Nein! Nein!" Wacht auf und ruft nach mir. Ich halte seine Hand bis er wieder einschläft.

Zur Zeichnung: T.: "Sieht aus wie ein Steinzeitmensch, der sich mit seinem Faustkeil schabt." Ich muss lachen. T.: "Perspektivisch sieht es so aus, als gehöre die Hand jemand anderem. Passt, es ist ja eine Empfindung, die du ausdrückst." Genau.

Anmerkung 1: Als ich T. am Abend von meinem "Irrsinnbefall" berichte, dass ich ihm wie ausgeliefert schien, aber nicht komplett - denn im Kopf spielten sich in Sekundenbruchteilen noch andere Szenarien ab, die sich gegen mich selbst richteten (Ritzen mit dem Messer, mit der Nagelschere...) - ich also den Irrsinn kontrollieren konnte, ward T. an Michonne erinnert, der Amazone aus der Comicverfilmung The Walking Dead, die zwei Zombis ohne Zähne und Arme an Ketten mit sich führt. Ach ja...

Anmerkung 2: Alles eine Folge von Prämenstrueller Depress- und Aggression?!