Dünnes Fell, dickes Fell

Fehmarn, 22.7.21. Zeichnung von J.

R. (1) ist gestorben, U. ist gestorben.
Erschütterung, Tragik, Erlösung.

Die Zeit dazwischen und wähhrenddessen verbrachten wir auf Fehmarn, trafen G., P. und A. – liebevolles, vertrautes, familiäres Beisammensein; zelten auf dem Bauernhof meisterte ich ungewöhnlich gut; emotional aufgewühlt war ich wegen R. und U. innerlich und neben her, durchgehend verstopft, zurück zu Hause zwei Tage erschöpft –  zusätzlich wohl auch virenbedingt.

Zuvor hatte ich zeitweise ein sehr dünnes Fell, meiner Natur entsprechend und wohl auch hormonell bedingt. Der Tod einer jungen Amsel erschütterte mich – Genickbruch durch Flug gegen die offene Terrassentür – , doch zimperlich bin ich nicht und ich begrub sie nach Nervenberuhigung.
Dieselbigen Nerven zerrissen an einem Abend allein mit J. und K., die Schere rammte ich in das vorbereitete Schreibtischplattenloch – zuvor rettete ich den Ozaaufkleber, der dieses kaschiert, vor dem Scherenstoß, von unten ähnelt’s aufgebrochene Loch meiner Warze, die seit über einem Monat an meiner Hand blüht -, anschließend faltete und riss ich Papier, das ich zuvor auf seine Wiederverwendung prüfte (verblüffende Impulskontrolle) und fuhr so mein System runter (Aktivierung des Parasympathicus‘).
Am nächsten Tag fuhr ich mit J. und K. an meinen Lieblingsort am Meer. Weinte dort still für mich im Wasser, weil ich dort ohne fremde Menschen am liebsten gewesen wär, mich verloren inmitten anderer fühlte, aber auch, weil die Schönheit und Weite der Natur, das Spüren des Wassers mich überwältigte, mich lebendig fühlen ließ.

Ohne Mann und Kinder war ich ein paar Tage später für ein Wochenende.  Schwieg während dieser Zeit überwiegend, aß wenig, schlief viel, räumte und ordnete Dinge. Versteckte mich zeitweise im Haus. „So ein Quasiretreat bräucht‘ ich mehrfach im Jahr“, wusste ich bereits und sagte ich später zu T.
War am Tag der Rückkehr aller dünnhäutiger als sonst. Megagänsehaut, Schreck, Rückzug, Tränen: „Ich glaube, ich werde immer durchlässiger.“, „Das ist doch nicht normal!“, „Bin nicht familienkompatibel!“ Bin ich doch – auf Fehmarn bewiesen.
Zur Stärkung für und vor dem Inseltrip genoss ich zum ersten Mal drei Stunden für mich allein an meinem Lieblingsmeerort. Wiederholung vonnöten.

Zur Zeit haben K. und ich eine Hummel mit pelzigem Fellchen in Pflege, die nicht mehr fliegen kann und sich immer zur selben Zeit auf unserer Terrasse einfindet und sich dort ameisenbärgleich mit Saugrüssel und flinkem Zünglein an einem Tropfen Löwenzahnhonig stärkt.

1: vgl. Malerei von R. im Artikel „Das kleine Mädchen, das ich war“. 
R. war eine Künstlerin und eine 30 Jahre (?) ältere Freundin, die ich durch IKK kennenlernte. Ich sah sie das letzte Mal 2018 zu meiner Ausstellung. Seitdem und bereits zuvor verband uns eine liebevolle SMS- und Postkarten-Korrespondenz. Nach außen eine exzentrische "Grande Dame", innerlich zerbrechlich und mir im Empfinden oft ähnlich:
Nachricht von R. vom 6.Sept. 2017, 16:36
"Allerknuffigstes kuschelchen gar sehr hat es mein herz erfreuet von dirrr zu lesen ich glaube uns beiden gehet es aehnlich mit unseren befindlichkeiten ich moechte am liebsten abhauen bin so duennhaeutig komme mit der welt so eiskalt nicht mehr klar liebste gruessis renate"

Nachricht von R. vom 20.Okt. 2017, 21:01
"Du bist eine der wenigen menschinen, die mich nicht verkennt. das erfreut mich sehr und ich danke dir."

Antwort von mir vom 20. Okt. 2017, 22:27
"Hast mein Herz berühret..."

R., 21.Okt. 2017, 15:51
"Du meins auch, schon als wir uns kennenlerneten. Lebt la poupi noch?"

ich, 22. Okt. 2017, 16:50
"La poupée wird immer leben! Herz v Kuschi"