Kinderzeichnung von mir, 1977/ '78 (?), Ausschnittkopie, Original im Zetteluniversum vermuffelt.
Im August 2006 begann ich, auf den Tipp meiner „Hallig-Freundin“ M. das Buch Der Weg des Künstlers von Julia Cameron zu lesen (1) und zu einem Drittel durchzuarbeiten. Brav schrieb ich meine „Morgenseiten“. Dann wurde ich schwanger mit K. und die Prioritäten begannen, sich zu verschieben – obwohl ich noch mit Baby K. im Tuch an einem Mappenvorbereitungskurs für die Hochschule für Illustration in Hamburg teilnahm ( – vergeblich…). So war es stets auf meinem bisherigen „Künstlerweg“: Verhindert. Blockiert. Schattenkünstlerdasein.
Eines unserer Hauptbedürfnisse, die wir als kreatives Wesen haben, ist das Bedürfnis nach Unterstützung. …werden dazu gebracht, Kunst als Hobby zu betrachten… Junge, noch unerfahrene Künstler werden vielleicht dazu ermutigt, Kunstlehrer zu werden…. sehr oft mit zu geringem Selbstwertgefühl, um überhaupt zu erkennen, daß sie einen künstlerischen Traum haben, werden diese Menschen statt dessen Schattenkünstler. Solche Menschen, die eigentlich selbst Künstler sind, jedoch ihre wahre Identität nicht erkennen,… Sehr oft macht Kühnheit und nicht Talent eine Person zum Künstler und eine andere zum Schattenkünstler… Es erfordert eine Menge Ich-Stärke, einem wohlmeinenden, aber dominierenden Elternteil (…) entgegenzuhalten „Halt, einen Monent mal! Ich bin auch Künstler!“ (…) „Woher weißt du das?“… Es ist normalerweise so, daß Schattenkünstler sich selbst streng beurteilen und sich selbst jahrelang für die Tatsache verurteilen, daß sie ihre Träume nicht verwirklicht haben. … Machen wir uns klar, daß Menschen genährt werden müssen, um Künstler zu werden. Schattenkünstler haben nicht genügend Unterstützung bekommen. Sie geben sich selbst die Schuld dafür, daß sie nicht einfach mutiger handeln. Oft verstehen wir die Darwinsche Abstammugslehre falsch und sagen uns, daß wirkliche Künstler selbst in der feindlichsten aller Umgebungen überleben könnten und dennoch ihre wirkliche Bestimmung so sicher finden würden wir heimkehrende Brieftauben. Das ist Unsinn! … Kurz gesagt, der erst am Anfang stehende Künstler verhält sich auf ihm wohlbekannte Weise masochistisch. Masochismus ist eine Kunstform, die er schon seit langem beherrscht… (2).
Mit Anfang zwanzig habe ich in einen Taschenkalender notiert: „to live on hold = Leben in der Warteschleife“. Wartete auf den Moment, in dem ich meine Talente würde ausprägen können (Malen und Zeichnen, Gesang, Schauspiel, Körperkraft). Hatte manchesmal das Gefühl, sie zu vergeuden (3). Diagnose mit Anfang zwanzig: Schilddrüsenunterfunktion. „Selbstaufgabe. Fühlt sich hoffnungslos am Selbstausdruck gehindert, geradezu erstickt“ (4). Klingt pathetisch, traf und trifft z.T. immer noch auf mich zu.
Als Kind stellte ich mir oft vor, wie schön es gewesen wäre, wenn mein Vater, der Künstler, noch gelebt und ich bei ihm im „Zeichenzimmer“ hätte sein und von ihm hätte lernen können.
Als Kind wollte ich gerne Kurse an einer Malschule besuchen, da ich aber soviele „Hobbys“ hatte, fand ich im abwägenden Gespräch mit meiner Mutter heraus: „Malen kann ich ja, da muss ich nicht zur Malschule.“ Welch‘ Trugschluss! Wäre ich doch dort evtl. gefördert worden.
Als Abiturientin gehörte ich dem ersten Jahrgang an, der neben einer Sprache (in meinem Fall Deutsch) nicht mehr Kunst als Leistungskurs wählen durfte.
Während meiner Studiensuche (ein Kunststudium hatte ich bisher erst gar nicht in Erwägung gezogen; eher etwas im Bereich Theater; Germanistik hätte mich interessiert, ich stellte mich selbst aber in den Schatten meines Bruders) betonte meine Mutter: „Werd‘ doch Lehrerin, dann kannst du all deine Hobbys zum Beruf machen bzw. deine Gaben ausleben: singen, vorlesen, Geschichten schreiben und erzählen, Theater spielen, malen und zeichnen.“ Na gut…
Als ich Studentin war, äußerte sich ein Künstler aus Wien, der an der Uni in LG 2002 (?) ein Wochenendseminar anbot, über eine Zeichnung von mir – allerdings nicht in meinem Beisein; ein teilnehmender Freund sagte es mir später: „Soviel brachliegendes Talent!“ Dieser Satz geistert seitdem in meinem Kopf herum, belegt mit Bedauern. Die Zeichnung hatte ich nach einigen Stunden des unter Beobachtung stehenden, gestressten Herumfuhrwerkens in einem unbeobachteten Moment mit leichtem Strich hingeworfen. Am nächsten Tag versuchte ich sie malerisch auszuführen und scheiterte. Die Zeichnung ist unwiederbringlich verloren. Die Sehnsucht nach jemandem, der das brachliegende Talent fördert, bleibt.
Später war’s zu spät für die Laufbahn an einer Kunsthochschule. Nicht an Talent, sondern an Kühnheit (s.o.) mangelte es mir. Ebenso am passenden Alter und an der Fülle der eingereichten Arbeiten (s.u.). Aussage meiner Mutter: „Ich habe nicht gewusst, dass Du gerne Künstlerin werden wolltest.“ Aussagen eines „Schattenkünstlers“, der Mappenkurse anbot: „Vor deinen abstrakten Malereien könnte ich niederknien.“ Ein Teilnehmer, jung und kühn: „Deine figurativen Malereien sehen aus wie die von Neo Rauch.“ Professoren während meiner Pentimentteilnahme: „Dein Bild könnte im art-Magazin abgedruckt sein.“ Kurzzeitig hing es im Büro des einen – bis heute weiß ich nicht, ob aus Ironie oder echter Bewunderung. Dieser Professor sagte mir auch bei einer privaten Audienz ehrlich ins Gesicht, dass es mir nicht an Talent mangeln würde, sondern an der Fülle eingereichter Arbeiten (s.o.) und dass ich in Anbetracht der Konkurrenz von frischen Schulabgängern, die sich bewerben, mit Ende dreißig – ganz ehrlich – zu alt sei. Im Nachhinein wäre der Weg über eine Kunsthochschule auch nicht der richtige für mich gewesen, kann ich doch unter Beobachtung und unter Druck nicht künstlerisch arbeiten.
Nun muss ich Obacht geben, C. G. Jungs Zitat nicht wahr werden zu lassen:
Nichts hat psychologisch gesehen einen stärkeren Einfluß auf ihre Umgebung und besonders auf ihre Kinder als das ungelebte Leben der Eltern (5).
1: Titelzitat: Spinoza ebd., München 1996, S. 65. 2: vgl. Cameron, a.a.O., Kapitel über Schattenkünstler, S. 61-66. 3: So führt auch die Protagonistin in Ishiguros Buch (vgl. 7.12.) ein "Leben, das in zunehmendem Maße von Vergeudung geprägt wurde." (ders., siehe 7.12., S. 59, München 2017). 4: Louise L. Hay, "Gesundheit für Körper und Seele", Berlin 2013, S. 308. 5: in: Cameron, ebd., S.62.