Zweifelnd im dünnen Nervenkostüm

Mein gestriger Artikel hieß zunächst Im Zweifel gefangen (im Skizzenbuch Im Zweifel verhaftet); den dazugehörigen Text wollte ich folgen lassen, doch dann schuf ich eine Zeichnung (1), die so anders daherkam, dass ich sie ohne Titel (O.T.) und Text präsentierte. Störte beides.

Der Vollständigkeit halber und meinem autistisch anmutenden Ordungssinn entsprechend, folgt nun der gestrige Text:

8.1.: Der Zensor lässt mich nicht los! Jedes Mal, wenn ich mein Skizzenbuch aufschlage, muss ich mein Selbstporträt von vor zwei Tagen (2) begutachten und denke: „Aaah, das kannst du besser!“ (3) Du willst Künstlerin sein und stellst dich dar wie eine Teilnehmerin aus einem Workshop Garantiert zeichnen lernen (4). Du solltest Zeichnungen, die nicht intuitiv und comic-kindlich in Minutenschnelle daherkommen, sondern „Weile haben wollen“, immer mit Kohle und Kreide anfertigen. Bleistift ist dafür nicht dein Material. Schließlich ist William Kentridge dein großes Vorbild.

Heute, 9.1.: Vielleicht bist du aber sowieso eher eine Malerin, brauchst große Formate, unterschiedliche Materialien. Vielleicht ist es an der Zeit, deinen Stil zu finden, weg von kinderbuchmäßigen Zeichnungen, hin zu einem reiferen Ausdruck. Schließlich wirst du dieses Jahr 45 (5) und bist und zeigst dich oft noch so kindlich. Dabei bist du doch 2fache Mutter! (…)

Je nun, soviel der Monologisierung. Hin zur Erläuterung: Die „neuen“ Zeichnungen sind immer noch comichaft, aber eben anders. Gestern schuf ich einen Bildleib (6) und dies keineswegs beabsichtigt. Suchte in meinem Materialfundus nach Zeichenkohle, fand aber nur ein dickes, grobes, rechteckiges Stück. Versuchte damit, ein frontales Selbstporträt zu zeichnen, was nicht wirklich überzeugte. Nahm weiße Ölkreide hinzu, vermalte, verwischte, radierte. Griff zu einem dünnen, schwarzen Edding, der sich auf „öligem“ Grund nur bedingt einsatzbereit zeigte. Ein weicher Bleistift kam zur Hilfe. Zwischenzeitlich war das Bildquadrat vollkommen kohlschwarz – bis sich (m)ein Gesicht herausbildete und blieb.

Heute verdanke ich meinem seit gestern äußerst fragilen Nervenkostüm die obige Zeichnung.

1: siehe Zeichnung vom 8.1.

2: siehe Zeichnung vom 6.1

3: vgl. Oza 25.9.

4: Betty Edwards.

5: Ich werde erst 44! Vollkommen verpeilt, ich!

6: Ausdruck von Bernd Mölck-Tassel, Prof. an der HAW (Hochschule für Illustration, HH) zu meiner Zeichnung von Oza: "Du hast einen Bildleib geschaffen!" (Pentiment 2006).