Neo Rauch und ich

Foto: Neo Rauchs "Ungeheuer" (2006) und ich. 

2012 sah ich in der Hamburger Kunsthalle die Ausstellung "Müde Helden". Einem Vortrag Neo Rauchs lauschte ich verzückt vielleicht 10 Jahre zuvor in der dortigen Rotunde - ich erinnere den genauen Zeitpunkt und Rahmen nicht mehr. Was bleibt ist, dass dieser Maler mit seinen Werken und seiner Person einen tiefen Eindruck hinterließ.

Aus: „Neo Rauch – Gefährten und Begleiter„, Doku von Nicola Graef, D 2015 (gesehen am 18.10. in der ARTE-Mediathek):

1:08:17-1:10:06

N.G.:Versetzt einen denn die Unsicherheit der Zeiten noch stärker in die Kraft des Malens?

N.R.: Es gibt Momente, da spüre ich einen überhand nehmenden Verdruss, der mich zu lähmen droht. Aber ich finde dann immer wieder in die Malerei hinein und verschwinde darin. Es ist ein sicherer Zufluchtsort, innerhalb dessen man seine Widerstandskräfte organisieren kann.

N.G.: Das heißt ja im Umkehrschluss, dass die Kunst das Böse zu bannen vermag.

N.R.: Ja (zögerlich).

N.G.: Ist das so?

N.R.: Ja, wenn man sich darauf einzulassen vermag, wenn man sich der- dem Kunstwerk ausliefern möchte und kann, dann kann es einen aussöhnen auch mit den Schrecknissen dieser Welt. Man- das Kunstwerk birgt ja das ambivalente Prinzip in sich von vornherein. Es ist ein Musterbeispiel, wenn es vorliegt, für die Ausgewogenheit des „Sowohl-Als-Auch“. Und so sollten wir die Welt auch annehmen. Als einen halbwegs ausgewogenen Zustand, in dem es das Gute und das Böse gibt, in dem es oben und unten gibt, rechts und links und so weiter. Und das wir all das brauchen, um zu existieren. Um uns auch selbst zu vergewissern, um eine Haltung einnehmen zu können zwischen den Polen. Und davon legt ein Kunstwerk in der Regel Zeugnis ab.

1:24:30

Neo Rauch malt an einer großen Leinwand das Gesicht seines Vaters, steht mit dem Rücken zu Nicola Graef, deren Stimme kommt aus dem Off:

N.G.: Ihre Eltern kamen bei einem Zugunglück ums Leben als Sie selbst erst wenige Wochen alt waren. Wie schwer ist es denn, sich mit diesem spezifischen Thema „Vater und Sohn“ malerisch zu beschäftigen?

N.R. (schnell): So schwer, dass ich gar nicht darüber reden kann. (Blick) Ich muss es erst machen.

1:25:38

N.G.: Wie sind Sie mit dem frühen Tod ihrer Eltern umgegangen?

N.R.: Ja das war natürlich die Katasrophe, die sich als dunkler Film über die ganze Familie gelegt hat und die mich wahrscheinlich bis auf den heutigen Tag auch schattiert. In meinem Gemüt ist dieser dunkle Film immer noch anwesend (räuspert sich, kaum merklicher Schnitt). Ich meine (räuspert sich erneut) rational erfasst habe ich es auf – in, in Schüben (*). Meine Großeltern haben es recht geschickt angestellt. Sie haben mich ja nicht adoptiert und Bilder, Fotos meiner leiblichen Eltern waren immer präsent und (*) ich bin mit ihnen aufgewachsen…

Anm.: (* Äh). Neo Rauch, der sonst sehr bedächtig, gewählt und kontrolliert spricht, stockt an dieser Stelle kaum merklich.

1:27:10

N. G. weist auf ein Portrait seiner Mutter an einer Wand des Ateliers.

N.R.: Mitunter wende ich mich in meiner Verzweiflung an sie, wenn es mir am Ideenstrom gebricht (lächelt).

1:27:58

N.R.: … unbeschreiblicher Gefühlszustand, da ich jetzt in dem Alter bin, in dem meine Eltern meine Kinder sein könnten. Sie sind ja nur 19 und 21 Jahre alt geworden. Mein Sohn ist jetzt älter als seine Großeltern.

1:34:00

Grafikstiftung Neo Rauch, Aschersleben, Werke seines Vaters (u.a. Portraits seiner Mutter)

N.R.: … ein Zeugnis einer großen Liebe.

Jornalist: Es ist keine einfache Ausstellung für Sie.

N.R.: Nein, nein.

J.: Mir ist jetzt nicht bewusst, dass sich ein Künstler auch so offen präsentiert hätte – dem Publikum. Sie gehen da ein ganz schönes Risiko ein.

N.R.: Die Ausstellung kommt aus dem Herzen…

Zum Titel: Vgl.: "Father and Daughter" (27.9.16), "Spinoza sagt: Weine nicht; werde nicht ungehalten.Verstehe." (20.12.17), "Tick, klickerklack" (28.5.18): Verweis auf obiges Plakat.

Anm.: Die Dokumentation berührte mich sehr. Viele Parallelen erkannte ich (vgl. auch Artikel s.o.). Am Schluss (Ausstellungseröffnung) war die Berührung, das Anklingen in mir so stark, dass ich plötzlich weinen und Ts Hand halten musste.