Dark Buddha Rising

Zeichnung von J., am Abend des 14.12. angefertigt. Kompensation? Andererseits liebt er "Wildes und Gefährliches".

Es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Anteil hatte. Ich geriet in eine eigene Atmosphäre, sie erstickte mich fast, ich betrachtete meine Glieder, es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann wieder in eins.

Dieser Zustand, den Büchner in Dantons Tod (1) beschreibt, ist mir wohlbekannt. Just gestern Abend während eines absurden Theaters, das ich und J. aufführten, auf schmerzliche Art erlebt. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre aus härterem Holz geschnitzt und müsste nicht wegen fehlender Stressresiszenz vor meinen Kindern weinen bzw. nicht so immens viel Kraft aufwenden, um meine gegen mich gerichteten Aggressionen zu unterdrücken.

Dieser Zustand hat unterschiedliche Formen und eine Erläuterung erscheint mir in Hinblick auf die Erklärung von Mercutio bzw. eines anstehenden Ausstellungstextes vonnöten.

Artikel am Donnerstag, den 14.12. um 12:39 abgebrochen, um J. aus dem Kindergarten abzuholen und bisher nicht beendet; Bild und Titel erst am 16.12. hinzugefügt. 

Samstag, 16.12., 11:30; J. hört ein Lied von „Neurosis“. Er mag das wilde Schlangencover.

Die Frage „Was ging voraus?“ stellte ich mir bereits in mehreren Artikeln. „Was ging voraus, das mich in verheerende Zustände brachte?“ In einen solch‘ verheerenden Zustand geriet ich am Donnerstagabend. War es mein generelles Empfinden, dass das Leben anstrengend ist (1)? Dass ich den Schlaf auch am Tag herbeisehnte, der mir für kurze Zeit eine Weltflucht ermöglichte, mich aber trotzdem am Leben ließ? Eine wiederkehrende Blasenerkältung, die mich ständig zur Toilette rennen und nicht zur Ruhe kommen ließ? Js momentane Frühmorgenserwachungen und Ks momentane Einschlafstörungen, die mich nicht bei-mir-sein lassen? Ein doppelter Kinderbesuch, dem ich zusagte, um mir zu beweisen, dass ich’s jetzt schaffen kann (undenkbar zuvor); den ich währenddessen gut überstand (trotz Nasenblutalarm, Chaoseindämmungsaktion etc.), der mir aber anscheinend im Nachhinein doch mehr abverlangt hat als angenommen. Der bereits oben angedeutete Außer-mir-Zustand als Vorbote? Das Finden des Büchnerzitates, welches bewiesen werden wollte? Komplex ist sie, die menschliche Psyche…

So wie J. im Anschluss an „die Eskalation“ am Donnerstagabend eine Zeichnung (s.o.) anfertigen musste, so musste ich, nachdem ich „wieder bei Verstand“ war, mein Erleben in Stichworten notieren. Hier die ausgeführte Version:

Denke noch beim Müllrausbringen: Hat keine Spuren hinterlassen, das Messergeschabe von gestern (Anm.: während J. nach massivem Alarmgeschlage während des Abendbrotes im Bad rumbrüllt, ist mein Stresspegel so angestiegen, dass ich in der Küche mechanisch mit einem Messer an meinem Unterarm herumschabe – nur leicht im Takt zu seinem Gebrülle und dies fast schon amüsant finde. Ich bin noch „genügend bei mir“, dass ich’s unterlass‘ bevor’s schmerzt). Bin fast ein bisschen enttäuscht. Denke noch: Ich habe mich verbraucht! Nicht im beuysschen Sinne („Man muss sich verbrauchen!“ Als Künstler einzusehen…), sondern Energie vergeudet. Das halbe Leben soviel Energie aufgewandt für Nicht-merken-lassen, Überspielen, Verausgaben. Sage noch zu T. beim Mittagessen mit J. und seinen zwei Freunden: „Was habe ich auch sonst im Beisein von Kindern Energie aufgewandt, um lustig zu sein! Entsetzlich!“ Als Js Freunde abgeholt werden, ertrage ich die absurde Situation, dass die Mutter des einen und ich uns über die chaosstiftenden, aufgekratzten Jungs hinweg unterhalten und ich zu erklären versuche, dass das vor kurzem noch nicht denkbar für mich war (früher mithilfe von Mercutio, klar). Sie: „Ach ja…?“ Ich denke: „Bin ich so anders?“ Während des Abendbrotes mit K. und J. – T. ist nicht da -, „fahre ich runter“ und bin froh, den Nachmittag unbeschadet überstanden zu haben (nachdem ich am Abend zuvor noch wütend über mich selbst war, zugesagt zu haben und es mir schleierhaft war, wie ich drei Jungs ohne Auto nach Hause kriegen sollte – geschafft: bei Regen im Radanhänger durch’n Wald – J. saß im Fußraum). Bin erstaunt über meinen Fortschritt, während des Kinderbesuches nicht permanent mit meiner Aufmerksamkeit innerlich „von-mir-weggesogen“ worden zu sein. Alles scheint friedlich, doch dann kippt es: J. kriegt einen „Hasch-mich“, oft in letzter Zeit, brüllt, wenn man/frau versucht, ruhig erklärend auf ihn einzuwirken: „Ich will nix hören!“ (kein Satz von uns) und hält sich die Ohren zu. Brüllt und zetert uneinsichtig weiter. Machtlos. Wie Schleifen! Psychoschleifen! Ich ertrag‘ es nicht mehr – nicht am Abend – nicht wieder! Meine Stimme kippt weg und ich hauche zu K.: „Er weiß nicht, was er anrichtet!“ Wanke in den dunklen Flur, gehe in die Hocke, brülle wie ein Tier in mein Kapu. Mehrmals! Krass! Beiße mir in den Arm. Kehre zurück zu J., packe ihn an der Jacke, Schizostimme: „Hör‘ auf damit!“ Er: „Ich will nix hör’n!“ Ich: „Hör‘ auf, hast du verstanden?“ Ich gehe in sein Zimmer (K. ist in ihrem), räume mechanisch auf. Er hat sich in der Küche auf den Boden gelegt und weint nach T. Ich denke: „T. darf mich nicht alleine lassen.“ Denke: „Klinik…?“. Schließe mich im Bad ein. Ritze mich mit Pinzette. Beiße mich. Kehre zurück in Js Zimmer. Beine so schwer, sacken fast weg. Räume weiter, weine still. Kinder kommen, J. im Arm, K. im Arm. Ich fühle mich schwach. K. zu J.: „Du riechst nach Staub.“ K. zu mir: „Ich hatte voll Angst vor dir, als du so gebrüllt hast.“ Ich leise: „Ich auch vor mir.“ Kinder zeichnen zusammen. Ich verlasse das Zimmer. Weine. Meine Beine sind schwer. Hocke mich in die Ecke hinter einer Tür. Denke kurz, ich werd‘ verrückt… Schmaler Grad… Mache im Bad Fotos mit dem Handy von mir, um mich meiner selbst zu vergewissern. K. und J. haben gemeinsam ein Bild für mich gezeichnet mit einer „schönen Seite“ (K. + J.) und einer „bösen“ Seite (nur J.). Während des Zähneputzens von J. denke ich abwesend, dass es nicht schlimm wäre, wenn ich sterben würde, dann könnte ich mich ausruhen. Der Gedanke war gar nicht „düster“, sondern eher beruhigend. Vor dem Zubettbringen sage ich tränenzurückhaltend zu J. wie leid es mir tut, dass ich so ausgerastet bin und wir versprechen einander, uns nicht mehr „zu nerven“ (J.). Mechanisch hänge ich bis kurz nach zehn Wäsche auf. K.: „Ich kann nicht einschlafen, aber mach‘ Dir keine Sorgen um mich!“ Ich: „Ehrlich gesagt mache ich mir um mich Sorgen…“. Ich schlafe bei K. im Zimmer.

Am nächsten Morgen (Freitag, 15.12.) fahre ich, sichtlich matt und marionettenmäßig mit K. Bus. Ich: „Furchtbar, dass ich J. gestern so am Schlawittchen gepackt habe!“ K. „Ja. Ach, Mama…!“ Meinen Kunstkurs absolviere ich souverän. Außen und innen… Wie kann’s der Mensch wissen…? Genieße ein seltenes Treffen mit L. Kehre stotternd zu T. zurück. „Beichte“ und berichte ihm. Handybeweisfotos: Schattenaugen, Ritzspuren, Bissspuren. Ich: „Vielleicht sollte ich mir solche Spuren eher tätowieren lassen.“ T.: „Und ich fachsimple währenddessen herum.“ (Fotografentreffen nebenan). Während des Abendbrotes bin ich sehr angespannt und habe regelrecht Angst vor Kippmomenten. Am nächsten Tag (Samstag, 16.12.) telefoniere ich mit meiner Mutter. Erzähle ihr eine Kurzversion vom „Schlawittchen“; dass mir nie, auch nicht in irrationalen Situationen, „meine Hand ausrutschen würde“ – allein die Aussage ist nicht in meinem Sprachsinn -; dass ich die eher gegen mich erheben würde als gegen meine Kinder. Mutter: „Du bist ja auch zum Glück Opas Enkelin.“ Die Geschichte meines Pastorengroßvaters, der, absolut friedfertig und sanftmütig auf das Drängen meiner Oma: „Jetzt reicht’s!“ meinem Onkel „den Po versohlen“ sollte und als er zum Schlag ausholt einen Hexenschuss kriegt und dies als Wink Gottes sah, ist die Bestätigung für meine Gewissheit.

14.12.:
1: Ich habe Dantons Tod immer noch nicht gelesen - Asche auf mein Haupt, denke ich an meinen Bruder, den Büchnerverehrer. Ich fand' lediglich beim Aussortieren einen Zeitungsausschnitt mit eben diesem Zitat s.o. (evtl. von 2004).

16.12.:
Zum Titel: Finnische Stoner-Doom-Band, von T. auf dem Neurosis - Label entdeckt.

1: vgl.: Artikel "Immer alles Zuviel", 11.1.17.