Zum Ritornell. In: Felix Guattari, Gilles Deleuze, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin 2005, S. 424/25.
Dienstag, 5.12.: Sitzung bei N. nach 4 Wochen (vor 2 Wochen musste ich wegen Krankheit absagen). Ich: „Ich habe in den letzten Wochen mehrere Gewässer durchschwommen (o.s.ä.)!“ Kurzes Resümee. In der letzten Sitzung hatte mir ein seelischer Schmerz körperliche Schmerzen bereitet. Dies will ich nun alles nicht mehr, betone ich. Kein Graben, dafür bewusste Entscheidung; Überprüfung, ob aufrichtige Begegnung aufgrund unbewusster Trigger möglich; Versicherung, dass keine Übertragung auf meine Kinder geschieht, wenn ich für mich Dinge abgeschlossen habe. Große Beruhigung! „Geschenktragung“ mit liebevoll-zartem Blick betrachtet. N.: „Du hast dich schön gemacht, gar festlich (o.sä.).“ Ich entgegne lächelnd, dass ich den Rock (mit glitzernden Pailettenblumen) bereits seit Sonntag trage, mich aber an dem Tag für mich selbst schön gemacht habe. Es ist wie ein Abschied, dennoch machen wir einen Termin in 4 Wochen aus. 3 1/2 Jahre hat mich N. begleitet – seit dem Sommer vor der Klinik, als ich tsunamiartig von Kindheitstraumen überrollt wurde, 3 Monate jeden Tag weinte… and so on.
Wertvoll, das mit N.! Verbindung bleibt.
Heute, Mittwoch, 6.12.: Am Abend zuvor gehe ich früh zu Bett. Ich brauche den Schlaf. Lache laut bei der Lektüre des Buches Was vom Tage übrig bleibt. (Autor: Kazuo Ishiguro, Nobelpreisträger für Literatur 2017 – was ich bis vor kurzem noch nicht wusste, lese ich doch Die Zeit immer zeitversetzt; Wochen später durch mehrere Nachbarhände weitergereicht; höre kein Radio, habe keinen Fernseher und lebe auch sonst im Wald). Wache um 5.45 vom leisen Handyweckton Ts auf. Zu früh für mein immens hohes Schlafbedürfnis momentan. Die Tränen laufen. Ich trinke meinen Tee auf der Treppe im Flur. Instabil. Vergleiche mich mit Niki de Saint Phalle, Künstlerin und Mutter, deren extreme Stimmungsschwankungen und depressive Episoden u.a. (schweres Kindheitstrauma inklusive) auf eine Schilddrüsenerkrankung zurückgeführt wurde. Ich habe auch eine Schilddrüsenerkrankung, bin aber seit meinem 20. Lebensjahr medikamentös eingestellt. J. macht kurz vor Kindergartenbringung Alarm – keineswegs stabilitätsfördernd. Stressabbau durch kurzes Gekratze als alle aus dem Haus sind. Tränen. Denke – wie schon oft zuvor (1)- bin zu nichts nütze – außer zum Lieben. Was natürlich und auf jeden Fall und wenn nicht sogar das Größte ist! Doch wie soll ich, die den Alltag mit seinen Wechselzuständen oft nur unter immenser Kraftanstrengung bewältigt, in einem Beruf bestehen? J. gestern Abend zu mir: „Warum bleibst du eigentlich immer zu Hause?“ „Weil ich hier arbeite.“ Ja, am Blog, aber unentgeltlich. Meine Mutter sagt: „Die Rente deines Vaters steht dir zu.“ Ach ja, tut sie das? (2) So ist mein verstorbener Vater, der „nur“ Hilfsarbeiter und Schriftsetzer in der DDR und eigentlich Künstler war, also mein Mäzen. Von den 400 € können wir den Kindergartenbeitrag und das Schulgeld (ink. Essensgeld) bezahlen (das ist der Preis für die Ablehnung des staatlichen Schulsystems, fuck!). 200 € bringt mein Kunstkurs ein. Zum Glück hat T. gerade einen guten Lauf und die Aufträge fließen. Zum Glück haben wir kein Auto und zum Glück sind wir auch sonst bescheiden -, denke ich. Aber ist ja alles relativ. I Play for your story, so der Titel einer Doku in der Arte-Mediathek. Schön wär’s! Die Story eines ehemaligen Gefängnisinsassen konnte ich fast nachvollziehen, dass er nach 25 Jahren im Gefängnis am liebsten dahin zurückkehren würde, statt in der Gesellschaft bestehen zu müssen. Nach meinem Burnout 2004 war dies ein großes Thema für mich – und ist es immer noch (bereits im Blog zuvor erwähnt). Im Schulsystem konnte ich nicht bestehen, da nützen mir auch meine zwei guten Staatsexamen nix. War aber ja auch nicht mein Weg. War Mercutio. Habe mich verheizt, wurde verheizt. Nur das Literatur- und Kunstpädagogikstudium hat mich erfüllt, beglückt, bereichert, mit Hirnerweiterung und Herzerwärmung beschenkt -, ersteres u.a. durch die Lektüre von Kleist, die Auseinandersetzung mit Semiotik, durch die Kunstvermittlung, die Lektüre von Deleuze & Co, „zweiteres“ durch die kostbaren Freunde aus der Zeit und T., der an derselben Uni Kulturwissenschaften studierte und sich in mein Herz katapultierte! :-) Hätte ich einen anderen Weg eingeschlagen, wäre ich ihm nicht begegnet, hätten wir unsere Kinder nicht, wäre ich nicht hier in unserem schönen Heime…
Resümee: Ganz schön cool war ich zu Zeiten von Deleuze ;-). Ganz schön mutig und tapfer bin ich nun.
Und matt.
1: Im Studium habe ich einmal eine Story für ein Kinderbuch gezeichnet von einem kleinen Wesen, das "Der Unnütz" hieß. Dies wurde von meiner damaligen Mitbewohnerin gleich psychologisch gedeutet und auf mich gemünzt. 2: Meine Mutter ist immer noch entsetzt über das, was mir in nur 1 Jahr Schuldienst widerfuhr. Ein Verwandter von ihr, der im Schulamt tätig war, meinte: "Die haben die Fürsorgepflicht dir gegenüber verletzt." So war's wohl. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente stünde mir zu oder wie heißt das noch gleich? Interessant, dass ich neben der "Rententransparenz" auch meine ehemalige Lehrtätigkeit offenlege. Habe dies bisher immer vermieden, weil ich nie mit der Lehrerrolle konform ging, meine Person nie damit in Verbindung bringen wollte. Auch ist dies so eng mit Mercutio verknüpft, so eng mit meiner Mutterabgrenzung, Ich-Findung und sonstigem Psychokack... Erschütterung meiner Person... Herrje...!