Mein Freund der Zweifel

Js Spuren im Schnee, gezeichnet mit Schaufel und Schuh; T. postete eine minimalistischere Form auf Instagram.

Gestern nahm ich ein Bad. Ich nehme nie ein Bad. Höchstens einmal im Jahr. Entspannung ist nicht gut für mich. Dann fällt der Schutzschild. Ich wünschte, ich hätte ein dickeres Fell. Eigentlich habe ich gar kein Fell. Gestern hatte ich fast einen Hexenschuss (1).

Der Zweifel kommt in meinem Blog in 35 Einträgen vor. Wer zweifelt, sei weise, so las ich irgendwo. Der Weise (der Zweifler) sei in der Lage, eine Sache gleichzeitig von zwei gegensätzlichen Seiten zu betrachten. Ich wünschte, ich wäre nicht weise.

Vor vier Tagen kehrte ich von einem Impro-Gesangsworkshop (2) aus H zurück. Ließ meine Stimme erschallen, mal laut, mal leise, voller unterschiedlicher Farben, vollkommen der Intuition hingegeben (nicht ausgeliefert, wie sonst!). Lag die letzten Tage mit Halsschmerzen (3) und völliger Schwäche darnieder. War verzagt und weinte viel. Bin wie ein Säugling, der zunächst reizüberflutenden Situationen standhält, im Anschluss daran jedoch stundenlang brüllt, da er mit der Verarbeitung überfordert ist.

Vor dem eigentlichen erfüllenden Gesangswochenende überstand ich – währenddessen unbeschadet – Js Geburtstagsfeier mit 5 kleinen Gästen (undenkbar im Jahr zuvor!), ein Gruppenskillstraining – währenddessen höchst angespannt eine Metallkugel mit Spitzen in den Händen rollend -, und eine vierstündige Zugfahrt – währenddessen als Qual empfunden, ausgeliefert gar, verloren in der Welt.

Während des Darniederliegens bekannte Verzagungsschleifen: „Wo ist mein Platz?“ Wünschte, es würde mich jemand an die Hand nehmen und mir meinen Weg weisen. „Soviel ist in mir!“: Stimme (ließ sie am Wochenende erklingen, „Explosion“, Bremse, Zuviel, zurücknehmen, Krankwerden) Bilder (im aktuellen Traum schuf ich mehrere Malereien, vielschichtig, grandios, aktuell in der Realität?). Hinzu kamen starke Zweifel, die Ausstellung meines Blogs betreffend, die bereits verstärkt in H an mir genagt hatten. Wofür? Die Lektüre von Ishiguros Was vom Tage übrig blieb nährten die Zweifel zusätzlich. „Worum geht es nach Ihrer Ansicht bei der Würde?“(…) „… ich vermute, es läuft darauf hinaus, dass man sich nicht vor der Öffentlichkeit entkleidet“ (4). „Die Welt von heute ist ein stinkendes Loch, nichts für schöne und edle Grundeinstellungen. Sie haben es ja selbst gesehen… Wie man etwas Schönes und Edles manipuliert hat“ (5). Wofür die Ausstellung, die die Anonymität des Blogs ja aufhebt? Künstler sind Narzissten, brauchen Anerkennung. Künstler haben ein Sendungsbewusstsein. Mein naives Ansinnen: durch Wahrhaftigkeit die Welt zu verbessern. Kämpfe ich da nicht wie Don Quijote gegen Windmühlen? Vor dem Einschlafen musste ich an Lars von Triers Protagonistin in Breaking the waves denken, etwas Schönes und Edles, das sich sinnlos opfert… Schleifen, Zweifel, Nagerei…

Plötzliche Eingebung und Auflösung der Zweifel während und wahrscheinlich auch aufgrund des Darniederliegens! Erläuterung folgt – vielleicht, eventuell oder auch nicht…

Nachsatz ein paar Stunden später: Bilder und Text für die Ausstellungswerbung sind abgeschickt, es gibt kein Zurück!

1: Nach Auffassung der Selbsthilfe-Queen Louise L. Hay repräsentiert der Rücken unser Unterstützungssystem; das Leben selbst unterstützt uns (Hay, Gesundheit für Körper und Seele, Berlin 2013). Ach so!

2: Vgl. 3., 4., 5.12.16 und 3.,5. und 8.4.17. Verlinkungen entfallen aus Faulheit.

3: Hay schreibt dem Hals die Repräsentation unseres schöpferischen Flusses zu. Halsschmerzen entstehen, wenn die Kreativität erstickt ist, wenn die Unfähigkeit besteht, für sich selbst zu sprechen; aber auch, wenn man/frau sich mitten in der Veränderung befindet. Neues, haysches Gedankenmuster: "Es ist in Ordung, meine Stimme erschallen zu lassen. Ich äußere mich frei und freudig. Mit Leichtigkeit spreche ich für mich. Ich gebe meiner Kreativität Ausdruck. Ich bin willens, mich zu wandeln." Oder noch einfacher: "Ich kann für mich selbst sprechen. Ich drücke mich frei aus. Ich bin schöpferisch. Ich spreche in Liebe." (Hay, a.a.O., S. 233). Wohl an!

4: Kazuo Ishiguro, ebd., HH 2017, S. 248.

5: a.a.O., S. 264.