Aus: „Stern 111″/ III

Beim Lesen klingt etwas an (1), trifft eigenes Erleben, eigenes Empfinden, trifft genau das Gegenteil, kehrt etwas um, macht etwas deutlich, lässt etwas erahnen…

„So ging Fliegen. Es hebt einen aus allem heraus (463).

…, war es doch so, als stünde Carl den Eltern nicht auf dieselbe Weise nah, wie Inge und Walter einander nahestanden. Genauer besehen stand er ihnen vielmehr gegenüber, am anderen Ufer ihrer Liebe… (468).

Sie (seine Mutter) küsste ihn auf die Wange, ihre Hand an seinem Hinterkopf; Carl hatte Mühe, es zuzulassen (469).

„…, und ich halte ihm den Rücken frei.“
„Er schafft es, gerade so, von Tag zu Tag (469).“

„Es ging darum, dass wir es sind, die entscheiden. Dass das hier unser Leben ist (483).“

Schon als Kind hatte es Carl in Erstaunen versetzt, wie mühelos ein Satz auf den anderen folgen konnte, wenn Erwachsene sich trafen. Es gab diese Melodien des Gesprächs, die jeder kannte und die nur nachgesungen werden mussten. Niemand blieb hängen; alles klang überschwänglich… Es war das erste Mal, dass er seine Eltern so deutlich von außen sah, als andere Menschen, und einen Moment lang war er nicht mehr ihr Kind. Nicht mehr Teil jener Selbstvertändlichkeit, die einem sagt, dass die Dinge einfach nur sind, wie sie sind – unerheblich, nichts, worüber länger nachgedacht werden müsste. Denn das, dachte Carl, ist der Sinn der Familie: ein Überlebensverbund, der dafür sorgt, dass das Eigentliche unerkannt bleibt (484).

…; es gab keine Definition über ihn, von der ausgegangen werden konnte, seine Substanz war unbestimmbar (487).

…, er hasste die ganze verlogene Szene. Carl senkte den Blick und starrte auf sein Handtuch. Es war reiner, klarer Hass, der jetzt explodieren musste: er sprang auf und nachdem er ein paar schnelle Schritte gegangen war, brach es aus ihm heraus – ein maßloses Lachen, viel zu laut.
Ich bin als Kind nie wirklich unglücklich gewesen, soviel steht fest, dachte Carl (488).

Sie hatten ihm das alles verschwiegen und eine Art Ersatzleben geführt. Ein gutes, passables, kein unglückliches jedenfalls, nur das erzwungene Leben… Auch in ihm war es verankert gewesen, das zweitbeste Leben. Es entsprach einem Grundgefühl seiner Kindheit: jemand oder etwas zu vertreten, nicht voll und ganz gemeint zu sein – nicht an sich, oder wie sollte man es sagen?
… und irgendeine wahnsinnige Anstrengung, die eigentlich zuviel für ihn war. Er hatte die Fotos im Album vor Augen: Vater, Mutter und ein Kind. Ein Kind mit erschöpftem Blick und dem Gefühl, anstatt zu sein, ohne etwas darüber zu wissen, nur die Empfindung (492/93).

…, aber als er sich umdrehte, war er allein…, er spürte die Erleichterung – ein feines Rieseln auf seiner Kopfhaut, ein Frösteln, so dass er für einen Moment stehen blieb und die Augen schließen musste. (…)
War es nicht wunderbar, allein zu sein (497)?

Am 21. Mai… (501).“

aus: Seiler, a.a.O., siehe Artikel zuvor.

1: vgl.: Aus: "Stern 111"/ I.