Zensor

Interessant, dass ich einiges schwere Erleben erst später in Worte und Bilder fassen kann oder dass einiges auch dem Zensor zum Opfer fällt. Mein Klinikzeichentagebuch habe ich z.B. erst nach zwei Wochen Aufenthalt begonnen. Es beschreibt oft bereits lange zurückliegende Nöte.

In meinem Skizzenbuch gibt es (nur!) 3 Passagen/Sätze, die ich nicht veröffentlicht habe. Im Moment des Schreibens musste ich sie veräußern, doch bereits während des Abtippens sprach der Zensor – zu lang, zu intim, Erleben im Zusammenhang  nicht nachvollziehbar. Doch jetzt, mit Abstand betrachtet, ist auch das mir egal, möchte ich auch hier absolut wahrhaftig sein. Einerseits um der Befreiung willen (1), andererseits scheint die komplette Zensorausmerzung eine Art Vorbereitung, da ich überlege, ob und wie ich die Klinikzeichentage veröffentlichen soll… Vieles fand dort bereits Erwähnung, siehe folgende Zeichnungen:

Bsp. 1, Thema „Ritzen“

31.8. Zustandserläuterungen

Allein aus dem Grund müsste ich schon künstlerisch tätig sein – in diesem Fall Performance-Künstlerin, dann   könnte ich das Ritzen auf der Bühne zelebrieren – so Ts und meine heitere Überlegung vor einiger Zeit.

Unveröffentlicht bisher:

Aber nicht mit Rasierklingen, das „kickt“ mich nicht, da ist ja sofort ein Schnitt, ich nehme etwas, um den Druck langsam loszuwerden und mich zu spüren… Ach herrje, wie geh‘ ich denn heut‘ Morgen ab?! Schluss mit lustig nu‘!

Bsp. 2: Meine Verfassung nach dem Gesangsworkshop erinnerte mich an meine Verfassung nach Ks Geburt. Empfand den Vergleich im Nachhinein nicht mehr stimmig, da die Geburt meines Kindes viel „größer“ als die „Geburt meiner Stimme“. Aber etwas an meinem erlebten Zustand erinnerte mich.

Unveröffentlicht bisher:

Erinnerte mich an meine Verfassung nach Ks Geburt. Meine Mutter betonte immer, dass es doch ein unbeschreiblicher Glücksrausch gewesen sei nach der Geburt eines Kindes. Ich konnte ihr gar nicht richtig zustimmen. War die Erschütterung und Erschöpfung doch größer. Erschütterung im Sinne von unfassbarem, tiefem Erleben.

 

Zum Titel: Begriff des "Zensors" bereits oft zuvor erwähnt, z.B. 27.8., 6.9., 8.9., 24.9 (zu faul zum Verlinken).

1: vgl. Interview aus der Zeit mit den Schriftstellern Ian McEwan und Julian Barnes, über die Befreiung durch Kunst,... und den Trost, der in sprachlicher Genauigkeit liegt. Ebd., 29.9., Nr. 41.