„Wahn, Wut oder Wollust?“

13.12.14, Kliniktagebuch.

16.12.14., ebd.

Zustand von Wahn, Wut oder Wollust (1) – oder PMS (?) überstanden. Düstere Gedankenwolken weitergezogen: „Hört das nie auf? Tag für Tag überstehen; morgen wieder…“.

Reflektieren:

Vor 10 Tagen: Ritzimpulsfantasie, vor 5 Tagen: Ritzblitzfantasie, vor 3 Tagen: massive Ritzfantasien (7 Messer des Räuber Hotzenplotz); „Befall“ (2), gestern: kurzer Impuls.

Gestern, 16.1.: extrem dünnhäutig, hoch empfindsam. Durch den Tag geschleppt. Beim Osteopathen mühsam Schocktränen zurückgehalten, ob des Nichtertragenkönnens (3). Zu Hause bei T. Schocktränen ob der Erschütterung. T. weiß um meine Hyperempfindlichkeit bei Wirbelsäulenberührung. T.: „Du bist im wahrsten Sinne des Wortes an der Stelle extrem dünnhäutig.“ Fühle mich den ganzen Tag so. Ungeschützt. Schleppe mich durch den Wald, um J. abzuholen. Weine unter der Dusche. Dusche lange (sonst nie) und heiß (immer). Nachmittags kaum Kraft, mich J, zu widmen. Kurzer Streit. Rückzug meinerseits. Erschöpfungstränen, Ritzimpuls (s.o.). 2 x still an Ts Schulter geweint. T. „heilt“ mich.

Wahn vom Samstagabend (14.1.): hoher Cortisolspiegel (4)- von 0 auf 100, gefühlt. Wie es dazu kam und warum es bei mir solch‘ extreme Formen annehmen muss (siehe 15.1.), ist im Nachhinein kaum nachvollziehbar (5).

T. und ich wollten in unserem Gemeinschaftshaus vom Wohnprojekt auf großer Leinwand einen Film zeigen (6). Alles organisiert: K. übernachtete im Dorf bei ihren zwei besten Freundinnen, T. bereitete filmmäßig alles vor, ich brachte J. zu Bett. Als würde der Kleinen „den Braten riechen“, schlief er nicht wie gewohnt ein (bekanntes Phänomen). Niiiiiiie (gefühlt) haben T. und ich abends außer Haus was vor und wenn, dann… (bekannte Elternlapalie). Meine Anspannung wuchs und steigerte sich vor allem, als ich 1 Minute vor Filmbeginn das Haus verlassen wollte und J., den ich schlafend wähnte, mich zurückrief. Da „fuhr die Hexe in mich“ (leider wohlbekannt, siehe oben Klinikzeichnungen). Entsetzliche Vorstellung, dass eine Hexe J. in den Schlaf geleitete… Stolperte mit Babyphone, ohne Jacke hinaus. T. sah meinen leeren Blick. Ich konnte die Bilder Salgados, die das Elend der Welt dokumentierten, stellenweise kaum aushalten, sie bereiteten mir beinahe körperliche Schmerzen. Salgado prangerte den Irrsinn und die Abgründe des Menschen an. Ahnung…

Hoffnungsvolles Ende des Films: Aufforstung des komplett verdorrten Urwaldes in Salgados Heimat Brasilien.

Am nächsten Morgen saßen T., J. und ich alle schwarz gekleidet am Frühstückstisch. Ich stand auf und zog mir etwas Farbiges an. Glücksmoment: Wanderung mit T. und J. bei strahlender Wintersonne durch den Wald zur Förde. J. tollte herum wie ein junger Hund. Zu Hause vollkommen unnötiger Streit mit K., der mich bis zum Morgen grämt. Wieder gut nun.

Alles reflektiert. Geist kann (vorerst) ruh’n.

 

Anm. zu den Zeichnungen: Skizzen aus meinem Klinikzeichentagebuch von 2014, in dem ich alltägliche und vergangene Zustände reflektiere (noch vor meiner Diagnose).

1: Doku über Vincent van Gogh auf arte (nicht gesehen).

2: siehe Artikel 15.1.

3: siehe Artikel 16.1.

4: Zusammenhang zwischen Traumaerfahrung und Stresshormonspiegel.

5: Überforderung bereits am Tag zuvor: ständiges Telefon- und Türläuten (zu Beginn meines Wohnprojektlebens trieb mich das häufig in den Wahnsinn); 3-Kinderbesuch bei Karla, 1-Kindbesuch bei J., Js Kinderzimmer anschließend im totalen Chaos versunken. J. "Wir haben Einbrecher gespielt!" Sehr überzeugende Darstellung! Im Nachhinein lustig. Samstagmorgen: erneuter Klingelalarm. Folge: Telefon leise (wie so oft!) und Schild an die Tür: Heute keine Sprechstunde!

6: Das Salz der Erde von Wim Wenders über den Fotografen Sebastião Salgado.