„Unter offenem Himmel“

Zum Foto: Die über 100 Jahre alte Schere meiner Großmutter, entdeckt im Nähkorb meiner Mutter während unseres Himmelfahrtbesuches.

Zum Titel: Roman von Katharina Geiser (Salzburg und Wien 2020), rezensiert von meinem Bruder, von eben diesem zu meinem 47ten Geburtstag am Himmelfahrtstag, an dem auch Pippi Langstrumpf ihren 75ten Geburtstag feierte, geschenkt.

Mit den kleinen Dingen fing es an, die nach und nach vor Klaras Augen verschwanden (S.7, Romananfang).

… Und der Deckel war weg. Klara hatte den Klang im Ohr, als er mehrmals auf den Fliesen aufsprang, konnte den Deckel aber nicht mehr finden… Als ihr kurz darauf ein Ohrstecker aus den Fingern glitt, blieb auch der unauffindbar… Sie suchte auch vergeblich nach dem Haargummi, der ihr aus den Händen auf den unverwüstlichen Fischgrätparkettboden gefallen war.
Wer trieb denn da ein Spiel mit ihr und diesen kleinen Dingen? War das nicht irre? Und vollkommen unmöglich dazu? (…)
Jeweils im Abstand von zwei, höchstens drei Tagen waren die Dinge ihren Fingern entglitten. Alles blieb unauffindbar, und dies in Klaras Ordnung, die schon aus reiner Ökonomie eine Ordnung war
(S. 82).

Los mer zue, Elise, sagte der Vater gedämpft, das Leben geht weiter, es muss weitergehen. Kinder und Vögel spüren das gut. Amseln und Grasmücken singen gerade nach Unwettern besonders ausdauernd. Den Vögeln ist es einerlei, was sich auf Erden abspielt, sie werben, brüten und füttern unbeirrt weiter. Auch Kinder singen, wann immer ihnen danach ist. Selbst nach einem Schicksalsschlag. Bisweilen albern sie sogar herum. Sie tun dies, um sich dem altvertrauten Leben wieder anzuschließen… Item, fuhr der Vater fort, wir müssen wohl oder übel lernen, und dies ist schwer zu begreifen, dass das Glück sich niemals pachten lässt. Nicht das Glück des satten Bauches, nicht das der frohen Arbeit, nicht jenes eines Kornjahrs… Man muss dankbar sein für das, was uns an Schönem zuteilwird. Wer aber mit Gutem beschenkt wird, der muss zuweilen auch verlieren… (S. 90, 91).

Wobei dem Berti, über alles gesehen und wie gefährlich die Unernehmungen bisweilen waren, bestimmt nichts Schlimmes mehr geschehen würde; er war ja schon taub (S. 95).

Denn von dem Moment an, als sie das leblose Tilli aufgehoben hatte und, es an sich drückend, laut schreiend durchs Haus gelaufen war (zum Vater, zum Vater!), war der Herrgott für sie kein Retter und Tröster in der Not mehr. Von nun an ließ sie ihn nur noch als hilfloses Wickelkind in der Krippe gelten. Mensch geworden und weiter nichts. Das Königreich Gottes ein Bschiss (S. 96).

Das Unglück ist nicht anspruchsvoll, nur gierig (S. 256).

Nun waren Seveso, Bhopal und Tschernobyl ja nicht bloß Namen gewesen, die einen imprägniert hatten, im Gegenteil: Die Haut war seither noch dünner geworden, jene von Klara zumindest (S. 172).

Aber während er rebellisch sein wollte, seine Kunst gegen das graumonotone Zürich gerichtet war, ging es ihr nur darum, mit ihren Tropfen der Welt um sie herum etwas zu übergeben, das nicht ausschließlich mit ihr zu tun hatte (S. 183).

Doch sicher ist und bleibt nichts.
Sicher ist, einen Mann im Mond erkennen zu können, unabhängig davon, ob es ihn gibt. Gleichgültig, ob dieser Mann im Mond zwinkert oder einäugig geradeaus starrt; ob er hinter Nachtgewölk verschwindet oder sich vom Horizont zum Himmelsgewölbe hangelt; ob er oder vielmehr die Laterne des Mannes auf Schnee oder Papier scheint. Sicher ist, dass…
Sicher ist, dass das Kuckucksweibchen seine Eier in fremde Nester legt und der Storch keine Kinder bringt. Dass es lebend gebärende Fische gibt, aber keine Meere auf dem Mond…
(S. 254, 255).

Anmerkung: to be continued, maybe (mein Lesezeichen steckt zwischen den Seiten 270/71 und mir verbleiben noch 40).