Überstanden

Vorauseilender Gehorsam. Folgte der Schwarze Hund diesem?

Anschleichen. Angriff. Kampf. Abwehr. Ermattung.

Eine lächerlich erscheinende Szene am Morgen rief den Hund gestern für zwei Stunden auf den Plan. Kurz, aber heftig. Neuerung: Dauer des Erscheinens.

Erster Auftritt: Ich, nach dem Aufstehen autistisch auf rituelle Abläufe bedacht, beschwere mich über „falsche Sojamilch“. T., der diese kaufte, fühlt sich angegriffen und verlässt  wortlos den Raum. Ich bleibe irritiert zurück, galt meine Beschwerde doch eher dem Einkaufsmarkt, der die Marke geändert hat. Erkenne (zum wiederholten Male in meiner Selbstreflektion) im Laufe der Irritation, dass kleinste Änderungen (so auch Sojamilchgeschmäcker), Abweichungen, Störungen u.ä. mich aus dem Konzept bringen. In der momentanen Phase des äußeren und inneren Chaoses umso mehr.

Zweiter Auftritt: Irritation wird von Wut über Missachtung abgelöst. Teile dies T. unter Kraftaufwand etwas später mit. Ts Erwiderung, die „bad vibes“ morgens nicht mehr ertragen zu können, bringt noch mehr Wut und ein noch stärkeres Gefühl der Missachtung hervor. Ich ziehe mich zurück. Versuche, die „bad vibes“ angesichts des Feiertages und der Aussicht auf einen Familientag durch mechanische Tätigkeiten zu verscheuchen. Enormer Kraftakt. Vergeblich.

Dritter Auftritt: Wut wandelt sich in Verzagung. Auf Verzagung folgt Verlorenheit. Gekoppelt an die Verlorenheit ist tiefe Verunsicherung (wohlbekannt; bereits mehrfach thematisiert). Versuch, sich am Schlüsselbeinknochen festzuhalten und Sicherheit zu erfahren scheitert. Kopfbilder: Knochen aufritzen. Hilflos dem Verlorenheitsgefühl ausgeliefert. Weine ununterbrochen. Greife im Bad willenlos zur Nagelschere, drücke die Spitze in meinen Unterarm, „Au“, unterlasse es. Verlasse das Bad. Hocke wie gelähmt in Ks Zimmer (K. ist nicht da.) Wünsche mir, dass T. herein kommt und mich „erlöst“… T. und J. essen in der Küche Müsli. Ich habe keinen Hunger.

Vierter Auftritt: Die Verlorenheit ist unerträglich. Gehe wie im Rausch ins Bad; entsinne mich, dass ich gestern noch dachte, mein „Notfalltäschchen“ (1), das ich seit Ewigkeiten nicht mehr gebraucht habe, entsorgen zu können. Greife hektisch danach. Stopfe mir eine Chilischote in den Mund. Hilft nicht. Verzweiflung. Beiße mich mehrfach in die Unterarme. Erblicke aus dem Augenwinkel meine Fratze im Spiegel. Kratze mich manisch (zum Glück schnitt ich mir vor Kurzem die Fingernägel). Brennen der Haut. Verlasse das Bad.

Fünfter Auftritt: T. fragt, ob ich trotz der „doofen Sojamilch“ einen Kaffee möchte. Nimmt mich in den Arm. Ich habe keine Kraft, vogelscheuchengleich lehne ich an ihm. J. kommt hinzu. Ich unterdrücke den Schmerz, weine im Bad, lasse mir lange eiskaltes Wasser über die Handgelenke laufen, wasche mein Gesicht. Wir frühstücken zusammen.

Sechster Auftritt: Die Katze meiner Freundin Schutzi-J. legt sich während meines Besuchs und meines „Hundeberichts“ auf meinen Fuß, rollt sich zusammen und schnurrt. Hund weg, Katze kommt. Tröstend.

Zur Zeichnung: Typisch für viele meiner comichaften Zeichnungen nach intensivem Erleben scheint mir die Mischung zwischen heftiger und lustiger Anmutung zu sein.

1: vgl. Artikel vom 18.1. und 20.1.17.

Anmerkung 1: Ich erkenne später, dass ich mich deshalb so verloren fühlte, weil ich mit dem Hund allein gelassen wurde. Matthew und Ainsley Johnstone beschreiben in ihrem Buch Mit dem schwarzen Hund leben. Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können, ohne sich dabei selbst zu verlieren (München 2009) wie wichtig es ist, frühzeitig Schlüsselreize und Warnsignale zu erkennen (vgl. Artikel vom 23.5.17) und wie wichtig die Erkenntnis ist: "Depressive Menschen wollen nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sie brauchen sie nur sehr dringend." (ebd.) Das Comicbild zeigt einen Mann, der selbstgefällig redend vorweg schreitet, ihm folgend ein schwarzer Hund auf dessen Rücken kraftlos eine Frau liegt, eine Hand und die Beine am Boden schleifend, die andere Hand vergeblich nach dem Mann ausstreckend.

Anmerkung 2: Ich erinnere mich während des "Hunde-Befalls" urplötzlich an eine Schlüsselszene aus meinem Traum in der Nacht zuvor. Sie offenbart mein Dilemma von Offenbarung und Verbergen. Im Gespräch mit Schutzi-J. folgen weitere Erkenntnisse...