„Aus der Zuckerfabrik“

Zum Titel: Buch von Dorothee Elmiger (s.u.), das kein Roman im eigentlichen Sinne ist, sondern eher eine "Denk- und Schreibbewegung, Suchbewegung, Recherche" abbildet, aber nicht nur das, "das Kreisen um das Schreiben wäre zu selbstreferenziell"; der "Text soll Unruhe stiften" (aus einem Interwiew mit Elmiger, 18te Minute, s.u.). 

Zum Bild: Käferfoto vom 3.6.19., wiederentdeckt.

Aus: Dorothee Elmiger, Aus der Zuckerfabrik, München 2020:

„- So ungefähr: ich gehe durchs Gestrüpp. Es tschilpen auch einige Vögel.
– Und dann?
– Weiter nichts, es geht einfach immer weiter so.
– Es gefällt dir aber, dieses Gestrüpp.
– Was soll ich dazu sagen?
– Ob es dir gefällt, das Gestrüpp, das kannst du doch sagen; was du dir davon erhoffst, was da für dich drinsteckt.
– Aber ich selbst stecke ja mittendrin, du hast offenbar überhaupt keine Vorstellung davon, wie das da ist.
– Ich stelle es mir sehr unordentlich vor, also ohne Ordnung und Übersicht. Und schön, weil fast alles darin vorkommen kann und weil das Licht je nach Tageszeit einmal hierhin und einmal dorthin fällt, und manchmal liegt Schnee, und ärgerlich ist es auch, weil man ständig hängenbleibt an den Ästen der Sträucher, vor allem, wenn sie Dornen haben und weil du ja so gerne diese Samthose trägst.
– Na gut.
– Also gehst du dann herum in diesem Gestrüpp oder was machst du da?
– Nichts, gar nichts. Gut, ich gehe vielleicht einige Schritte, und dann bleibe ich manchmal stehen und rauche eine Zigarette.
– Und die Vögel?
– Ja, die gefallen mir schon.“ (1)

„Meine unbeholfenen Ausführungen, als mich auf der Straße vor der Mars Bar jemand fragt, woran ich arbeite.“ (2)

„- Ist aber die Behauptung falsch, dass Du einfach nicht imstande bist, das zu tun, was man gemeinhin unter „Erzählen“ versteht?
– Nein, das ist richtig.
– Was hindert Dich daran?
– Na ja, es ist doch ganz einfach so, dass immer alles Mögliche geschieht, während ich an meinem Schreibtisch sitze, ich höre die Stimmen der Leute auf dem Flur, wie sie aus der Mittagspause zurückkehren, und draußen fährt ein doppelstöckiger Intercity aus der Stadt hinaus, Leute in orangen Westen gehen mit Zollstöcken auf dem Dach des Nachbargebäudes umher, und jemand schickt mir eine Nachricht aus Antigua Guatemala, und das muss dann natürlich auch alles erzählt werden, weil das ja die Bedingungen sind, unter denen der Text entsteht, also die Verhältnisse, in denen ich schreibe. Aber es ist mir eben ganz unmöglich, diese Dinge in ihrer Gleichzeitigkeit in den Text zu bringen.“ (3)

„- (…) Ja, und dann fällt mir zu Merleau-Ponty ein, dass Iris Marion Young in „Werfen wie ein Mädchen“ schrieb, (…).
Was bedeutet das jetzt, wenn es stimmt, und Vögel fliegen vorbei, und dann kommt die Abenddämmerung, was ist das jetzt wieder für ein Gefühl und so weiter.
– Man könnte ja auch sagen, das ist eine völlige Überfrachtung, eigentlich eine Zumutung.
– Richtig. Diese Sätze, das muss ich selbst einsehen, werden nie diese Art von reiner, strahlender Klarheit erreichen, die sich aller zusätzlicher, aller verworrener Bedeutung entledigt hat. Es handelt sich eher um flackernde, schwierige Konstruktionen, denke ich, um dunkle Strudel, in denen sich mit ohrenbetäubendem Lärm alles, also auch alles Periphere, für immer um ein instabiles Zentrum dreht. Und immer wird noch mehr hineingerissen.“ (4)

Aus: 52 beste Bücher, srf 2, Interview mit Elmiger, 11.10.20, 11:03:

1.05: „Ich bin eine sehr ordentliche Person. Und ich glaube auch, das Bedürfnis nach Ordnung oder danach, die Dinge zu sortieren, das steht eigentlich in meinem Privatleben, aber auch am Schreibtisch im Vordergrund. Nur nimmt das dann oft einen anderen Lauf. Da sammelt sich natürlich im Lauf der Tage und Wochen und Monate immer mehr an, immer mehr Mappen, immer mehr Zettel. Aber trotzdem versuche ich immer, eine Ordnung herzustellen. Das ist natürlich auch relativ, was dann als Chaos betrachtet wird und was als Ordnung. Natürlich finde ich es toll, wenn die Dinge miteinander in Verbindung treten. Nur schon dadurch, dass sie eben auf dem Schreibtisch liegen, übereinander und nebeneinander. Aber ich glaube schon, das Schreiben ist dann der immer wieder scheiternde Versuch, ständig Ordnung herzustellen, die Dinge zu sortieren, herauszufinden, in welche Ordnung sie gebracht werden können und das dann auch wieder zu verwerfen.“

2.43: „Ich habe natürlich die Hoffnung, die Welt besser zu verstehen und die Dinge zu klären im Schreiben, durch das Schreiben. Und mit diesem Impuls setz‘ ich mich auch hin, und das Erzählen, das mir dann immer wieder nicht gelingt, aber das Erzählen, das birgt ja dieses Versprechen, die Dinge in eine Reihenfolge zu bringen, irgendwo loszugehen und dann ein Ende zu finden, das Sinn ergibt, das uns etwas erklärt, das uns etwas besser verstehen lässt. Es kann ja auch eine Art der Erlösung sein. Da kann man Dinge durcharbeiten im Erzählen. Man kann sich auch in andere Geschichten hineinbegeben und dann besser verstehen. Nur ist dann meine Erfahrung am Schreibtisch – und deshalb auch diese Warnung oder dieser Hinweis (Anm.: „Diese Verwirrung, die das Schreiben stiftet, statt für Klärung zu sorgen (dies, a.a.O., S. 85).“), dass mir das eben nicht gelingt, weil ich dann doch auch die Welt und die Dinge darin nicht so verstehe. Ich kann sie nicht lösen, das Rätsel, das mir – oder die Rätsel, im Plural -, die mir die Welt gibt, sondern ich kann vielleicht nur zeigen, wie ich damit umgehe, wie ich mich daran abarbeite. Und ich glaube, wir haben ja schon sehr viele Erzählungen, die vorgeben, dass alles ganz einfach zu erklären ist und aufzulösen, und da finde ich eben die Verwirrung manchmal wirklich produktiver. Und die Verwirrung ist dann ja vielleicht nur zu verstehen als etwas, was ich noch nicht weiß, was ich nicht kapiere und statt jetzt auf dem direkten Wege zu einer Antwort zu gelangen, die dann vielleicht auch eine Fiktion ist, lass‘ ich das Denken ersteinmal wuchern und alles noch komplizierter werden, und das ist jetzt für mich etwas sehr Schönes, sich da hineinzubegeben.“

28te Minute: „Ich denke schon bei diesem Text ging mir das so, dass ich – ja, ich wollte alles in dieses Buch reinpacken und habe dann gemerkt, es geht immer weiter und weiter, und das wurde mir dann irgendwann auch unheimlich, dass ich gemerkt habe, dieser Text breitet sich in alle Richtungen aus und ständig prasseln die Dinge fast schon auf mich ein, überall seh‘ ich noch einen Zusammenhang und finde noch etwas, was auch in meinen Augen in dieses Buch hineingehört, und das hat natürlich manchmal auch etwas Beängstigendes, wenn man sieht, was da ausgelöst wird am Schreibtisch.“

35te Minute: „Und dann gibt es eben diese Momente, in denen plötzlich ganz, ganz viel geschieht. Da finden die Dinge zusammen. Ich finde eine Formulierung, die einfach genauso stimmt und für mich selbst neu ist. Und ich glaube, diese Entdeckungen, die man macht im Schreiben, im Text, das ist etwas Ekstatisches, und natürlich verlässt man in diesem Moment auch seinen Körper, man ist dann eigentlich nur noch Kopf oder Hand oder beide, die schreiben.“

1: ebd., S.9, Buchanfang.

2: S. 80.

3: S. 89/ 90. Eigentlich würde ich gerne noch durchgehend bis S. 92 weiter zitieren, aber es nimmt zuviel Zeit in Anspruch. Dabei ist es so interessant, wie Elmringer einen Bogen von Merleau-Ponty zu Youngs "Werfen wie ein Mädchen" spannt, worauf auch Hartmut Rosa Bezug nimmt...

4: S. 91/ 92.