So? Oder so!

Winzige, pelzige Kiwis, am Samstagmorgen, den 10.11. von meiner lieben Nachbarin W. vor die Haustür gelegt.

So?

Heute, Dienstag, 13.11.: 6.00 auf, 10 Min. meditiert, volles Wasserglas umgestoßen, Teeblätter in die falsche Kanne gefüllt, amüsante Synapsenneuverschaltung, Wärmflasche gegen Rückenschmerzen umgebunden.

Gestern, Montag, 12.11.: 5.00 aufgewacht, 5:30 aufgestanden, 15 Min. meditiert (seit???), 12 x yogischen Sonnengruß (seit???), tägliche 5-Minutes-Workouts, heftiger Rückenschussschmerz, Übungen unterlassen, J. joggend (seit?) im Burley zum Kiga gebracht. Moderate Bewegung tut gut trotz Rückenschmerz.

Oder so? (1)

Gestern wachte ich um 5.00 auf und beschloss, meine erschöpfte Seele mit Gutem anzufüllen. Meditierte in morgendlicher Stille eine kleine Weile. Wie lange war’s her? Begrüßte zwölfmal yogisch die Sonne. Auch dies tat ich lang nicht mehr. Die täglichen 5minütigen Workouts im Anschluss waren zuviel: ein heftiger Schmerz schoss in meinen unteren Rücken.

Dieser ist Teil meines jetzigen Zustandes und ich bin dankbar, den vorherigen überstanden zu haben. Schwer fällt’s, ihn in Worte zu fassen. Versuchte ich mich gestern noch in Gedichtform, die ich flugs unterließ, griff ich zum Glück zum Bleistift und meinem Skizzenbuch (siehe vorherige zwei Artikel), was ich seit 1 Jahr (!) nicht tat!

Ein anderes Ich war ich 2 1/2 Tage lang. Anstrengend ist diese Wechselei und auch ein bisschen unheimlich. „Hört das denn nie auf?“, höre ich mich fragen. Dachte ich seit geraumer Zeit immer mal wieder, „ich sei besser geworden“, war ich Sonntagabend im Bett so verzweifelt, dass ich Angst hatte, in die Tagesklinik zu müssen, weil ich mich nicht in der Lage fühlte, weiterhin das Leben zu bestehen. „Ich will so gerne leben!“, rief ich innerlich, erschöpft von meinem täglichen, scheinbar vergeblichen Mühen. Seit Freitagnachmittag war ich eine andere, gegen die ich ständig kämpfte, bis ich am Sonntagabend das Gefühl hatte, meine Haut läge direkt auf meinen Knochen. Im Bett hatte ich die irre Vorstellung, sie abzuschaben. Zuvor hatten mir die sanften Berührungen von T. und K. körperliche Schmerzen bereitet. Das machte mir einen Schrecken. Ich ertrug sie nicht, zuckte heftig zusammen und zurück. Brennend blieb die Berührung lange auf meiner Haut. Ich schickte meine Tochter mit matter Stimme aus dem Zimmer, weil ich keine andere Person im Raum aushalten konnte und weil ich sie vor den negativen Energien schützen wollte.

(Anm.: Ich muss nun weinen… Fange mich).

Ich setzte mich in einem Meter Abstand mit dem Rücken vor den heißen Ofen, um den Schmerz am „Glaskörper“ wegzubrennen. Es gelang nicht. Früh ging ich zu Bett, wie die ganze Woche über. Innerlich Mantren aus der Meditationspraxis in der Klinik (2014/15) erinnernd und aufsagend, sehnte ich den Schlaf herbei und die Verzweiflung fort.

Wir verabschieden uns von der Welt, wenn wir uns schlafen legen. Loslassen und schlafen – ist das nicht wunderbar? (…) Die Zeit fällt von uns ab, das Selbst fällt von uns ab, der Mensch, der leidet, fällt von uns ab. Wir sind einfach nur Gewahrsein (2).

(Anm.: Ich weinte, während ich dies tippte. Fange mich wieder. Atme hörbar).

Seit Freitag habe ich alles Erdenkliche getan, um mich aufzurichten und gegen das Dunkle anzukämpfen. Ergehe ich mich nie in meinem „Leid“ und ergötze mich daran, rufe es nicht herbei, sondern wünsche sehnlichst, es möge von mir weichen und nicht über mich kommen. Es hindert mich an der Teilnahme des Lebens! In den dunklen Phasen nützen mir leider auch die Skills aus meinem Training nichts, sondern immer erst im Nachhinein. Aber vielleicht muss ich noch mehr Kraft aufwenden, um mich in der Tiefe programmieren zu können: „Was ist wirklich?“ Wirklich ist, ich bin erschöpft. Ich lebe, aber es kostet mich Kraft. Ich liebe, aber die Liebe, das Kostbarste reicht nicht aus, um die dunklen Zustände aus meinem Leben zu verbannen. Ich bin nicht lebensmüde, sondern im Gegenteil, ich will leben und bin müde vom Leben (3).

So theatralisch soll’s nicht enden, daher bediene ich mich nochmal der faktischen Tages-Aufzählung vom Anfang, um eine Erklärung meines „papierenen Zustandes“ zu finden:

Montag, 5. 11.: 5:30 aufgestanden, noch matt vom „Zuviel“ des Wochenendes (vgl. Artikel vom 9.11.) die morgendliche Stille genießend, J. wacht früher auf als sonst. Seltenes Morgentelefonat mit meinem Geburtstagsbruder. Stress durch J.- Gebrüll (lang ist’s her). Ich bleibe zerrüttet zurück. Habe keinen Appetit, zwinge mich zum stärkenden Frühstück. Sehr emotionale Sitzung bei N., einer Berg- und Talfahrt gleichkommend, kurze, sehr heftige Erschütterung meiner Person währenddessen („Ich bin nie sicher!“), liebevoll aufgefangen, jedoch nachklingend. Erschöpft wie nach einer Bergbesteigung (4). Ich halte Mittagsschlaf, tätige Hausfrau- und Mutterkeiten, gehe früh zu Bett.

Dienstag, 6. 11.: erneuter Morgenstress, glücklicherweise unüblich geworden, jedoch immer noch nicht förderlich für mein System. Rückzug, stille Tränen. Mittagsschlaf, plötzliche Erkenntnis nach dem Erwachen (vgl. Artikel 9.11., s.o.) wieder abhanden gekommen, diffuses Hirngewirbel bleibt. Tätige Haus – und Mutterkeiten. Seltenes, mich berührendes Telefonat mit meiner Geburtstagsfreundin G. Tätige noch mehr Keiten. Gehe noch früher zu Bett.

Mittwoch, 7. 11.: bereits morgens rinnen in Stille Tränen. Ich fahre kraftlos bei wunderschöner Novembersonne an das andere Ende der Stadt zu meinem Job. Er fällt aus. Ich wusste nicht Bescheid, bekomme kein Geld, überbrücke die Zeit in der Stadt bis zu meinem nächsten Job drei Stunden später, verzage nicht, fühle mich aber kraft- und ortlos inmitten von Menschen. Bin nachhaltig beunruhigt durch eine Begegnung mit einer Frau, der Loglady aus Lynchs Twin Peaks gleich, die mir, mit sich selbst redend entgegenkommt, zwei große Teddybären umklammernd… Während des Kunstkurses, den ich gebe (5 TeilnehmerInnen) erscheine ich mir selbst und den SchülerInnen gegenüber locker, was jedoch trügt, ist mein Hirn scheint’s überfordert, erschrecke ich beispielsweise beim Hineingreifen in meinen Rucksack vor dem Ertasten des Föns, den ich zwecks Trocknung von Farbe auf Leinwand mitgebracht habe und nicht als solchen erkenne; bin ich felsenfest davon überzeugt,  meinen Workshop vom 17.10. am 17.4. abgehalten zu haben – zwar wundere ich mich noch über die Tatsache, dass dies kein Mittwoch war -, notiere dieses Datum vom April jedoch in meinem Vertrag. Als mir eine Schülerin ihre Collagenbildidee präsentiert, eine Ansammlung dramatisch-katastrophaler Ausschnitte und sich mit den Worten, „es sei eine starke Arbeit, aber sie müsse jetzt gehen, weil sie sich übernommen hätte“, verabschiedet, reagiere ich darauf äußerlich souverän, denke innerlich jedoch „ich kann das nicht tragen“. Körperlich vollkommen kraftlos radel ich nach Hause, erleichtert, endlich „angekommen“ zu sein und zur Ruhe kommen zu können, werde jedoch von unangekündigtem Kinderbesuch überrumpelt. Kann mich nicht zurückziehen, fehlt mir doch ein Zimmer für mich allein. Der Abend wird gekrönt durch eine Eskalation, einen Ausbruch, mehrere Kraftakte und einen singenden Laternenumzug durch den dunklen Wald, der gut tat, aber doch zuviel war.

Donnerstag, 8. 11.: morgens gestresst von der vertiefenden Übungsaufgabe für’s Skillstraining (ironischerweise sollten wir die Woche über ein Spannungsprotokoll führen und unsere Annspannung beschreiben), Job absolviert, nervlich überdreht beim Skillstraining (Namen verwechselt, mit falschem Zitat unmerklich blamiert).

Freitag, 9. 11.: beim morgendlichen Workout enorme körperliche Anstrengung verspürt, beim Verfassen des Blogartikels enorme geistige. Als ich J. mit dem Tandem vom Kindergarten abhole, fühle ich mich kränklich. Schaffe es nur mit Müh‘ nach Haus‘, dann ist’s aus. Liege erschlagen auf der Tatami, mir ist leicht übel. Matt zu T.: „Ist mein Gesicht schief?“ T.: „Klar, du liegst ja auf der Seite.“ Kann mich nicht mehr rühren, denke, ich werde krank. Dämmere vor mich hin. Als es draußen dämmert, kommt mir ein Sketch von Otto Waalkes in den Sinn: „Kleinhirn an Großhirn“… So programmiere ich jede einzelne Zelle meines Körpers, den aufzurichten enorme Anstrengung kostet. Ich zwinge mich, für meine Familie und für mich, trotz völliger Appetitlosigkeit, eine kräftige Gemüsesuppe zu kochen. Es gelingt. Danach schleppe ich mich ins Bett.

Am nächsten Tag bin ich nicht körperlich krank, aber bis zum Morgen des überübernächsten Tages „befallen“.

Dankbar bin ich, dass es vorüber ist und ich wieder „bei mir bin“.

Ich danke mir für mein Mühen!

1: Die Formulierung Oder so! mit Ausrufezeichen stammt von J. aus B. und wurde von ihr jeweils am Ende eines Improgesangsduos während des Wochenendworkshops am 4.11.(vgl. Artikel dazu) ausgerufen. Die freudig-begeisterte Verblüffung über die enorme Bandbreite der Darbietungen war jedes Mal groß.

2: Jack Kornfield, "Das weise Herz", München 2008, S. 359.
Kornfields 565 Seiten schwere Werk lese ich seit geraumer Zeit in mehr oder weniger langen Abständen und die Themen, auf die ich dann gestoßen werde, passen immer aktuell genau. So war es gestern Abend (Zitat s.o.). Nur am Halloweentag (wie passend!), als ich anders als jetzt, sondern dumpf befallen war (vgl. 1.11.) und es am Abend zur Hand nahm, um mich mit Gutem zu füllen, gelang es nicht, sondern die Wortfülle überforderte mich. 

3: vgl. Artikel vom 2.3.18.

4: Über den Unterschied zwischen körperlicher und seelischer Erschöpfung sprach ich unlängst mit einem Nachbarin, der ich klarzumachen versuchte, wie sehr ich körperliche Anstrengung und die daraus resultierende, angenehme Erschöpfung lieben würde, wie sehr mich jedoch die seelische zermürbe. Erschöpfung und Erschöpfung sind nicht das gleiche. Auch "der Befall" ist nie gleich.

Anm.: Diesen Artikel schrieb ich am 13. und 16.11.18.